Schätzungen zufolge leiden etwa drei Prozent der Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren sowie sechs Prozent der Teenager im Alter zwischen 13 und 18 Jahren an einer schweren Depression. Medikamentöse Behandlungen zeigen sich dabei allerdings als weitgehend wirkungslos bis gefährlich. Dies zeigt eine aktuelle Metaanalyse, die in Lancet (2016) publiziert wurde.
Ein Team um den Psychiater Andrea Cipriani von der Oxford University untersuchte 34 bereits vorhandene Studien mit 14 Behandlungsansätzen, an denen insgesamt 5260 junge Patienten teilgenommen hatten (Lancet-Pressemitteilung). Bei einer Abwägung von Risiken und potenziellem Nutzen zeichne sich „kein klarer Vorteil" für die Behandlung schwer depressiver Minderjähriger mit den gängigen Antidepressiva ab, resümieren die Autoren. Sie empfehlen eine genaue Beobachtung der minderjährigen Patienten, die mit solchen Mitteln behandelt werden.
In den vergangenen Jahren hatten sich Hinweise auf ein vermehrtes Auftreten von suizidalen Gedanken und Selbstmordversuchen bei Jugendlichen durch Antidepressiva erhärtet. Bei den am Markt erhältlichen Präparaten kamen die Forscher der aktuellen Studie zu unterschiedlichen Ergebnissen. So habe der zur Depressionsbehandlung eingesetzte Wirkstoff Venlafaxin stärker ausgeprägte Suizidgedanken bewirkt. Weitere Mittel seien weitgehend wirkungslos geblieben.
Auch in Österreich werden Teenagern Antidepressiva verschrieben - Tendenz steigend. Dies zeigte die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage im Jahr 2014: Die Zahl der Jugendlichen, die in Österreich Antidepressiva erhielt, stieg zwischen 2009 und 2012 von rund 36.300 auf 41.000, in der Gruppe der Null- bis Vierjährigen von 1.600 auf 2.200 (vgl. Bioethik aktuell, 11.2.2014).
Bereits im Jahr 2004 hatte die US-Zulassungsbehörde FDA vor einem möglichen Zusammenhang mit einer erhöhten Suizidalität gewarnt. Dies hat zu einem Rückgang der Verschreibung von Antidepressiva geführt. Dies berichtet das Team Gregory Clarke vom Kaiser Permanente Center for Health Research der Universität Oregon in einer in Pediatrics (DOI:10.1542/peds.2015-1851) publizierten Studie. Clarke und sein Team zeigten, dass Jugendlichen in der Primärversorgung erfolgreich mit einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt werden konnten. Auf den Rückgang bei der medikamentösen Therapie sei aber kein entsprechender Anstieg bei der Häufigkeit von Psychotherapien gefolgt. Die Gefahr der Unterversorgung dieser Jugendlichen, weil sie sich etwa weigern Medikamente zu nehmen, ist groß.
Die Studie an 212 Jugendlichen im Durchschnittsalter von 14,6 Jahren mit endogener Depression zeige, dass bei Verweigerung von Antidepressiva immer noch erfolgreich behandelt werden könne, wenn man eine kognitive Verhaltenstherapie nutzt, sagt Clarke (Pressemitteilung, online, 19.4.2016). Auch von den meisten europäischen Fachverbänden, darunter der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, wird im Kinder- und Jugendalter bei Depressionen an erster Stelle eine psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlung empfohlen.