Eingriffe in das Erbgut des Menschen, die menschliche Keimbahn, sind in rund 40 Ländern verboten, jedoch nicht in China. Dort haben nun Forscher - mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission - experimentell versucht, menschliche Embryonen durch gezielte Genveränderungen so zu manipulieren, dass Erbkrankheiten an ihrer genetischen Wurzel eliminiert werden. Das Ergebnis der um das Team von Junjiu Huang von der Sun Yat-sen Universität Guangzhou in Protein&Cell publizierten Studie (10.1007/s13238-015-0153-5) ist ernüchternd. Der Versuch, ein krankhaft mutiertes HBB-Gen (Thalassämie) zu ersetzen, ging schief - und das, obwohl die Forscher das neue Genom-Editing-Verfahren CRISPR/Cas9 einsetzten. Dieses ermöglicht es, auf einfache und gezielte Weise, Erbanlagen zu verändern oder auszutauschen (vgl. Tagesspiegel, online, 23. 4. 2015). Nature und Science hatten die Publikation aus ethischen Gründen abgelehnt, Protein&Cell hingegen hat die Studie bereits nach weniger als zwei Tagen Peer-Reviewing publiziert.
Nach eigenen Angaben verwendeten die Forscher 86 Embryonen, die in einer Fruchtbarkeitsklinik als nicht überlebensfähig aussortiert worden waren. 54 davon teilten sich nach der Prozedur, diese Embryonen wurden anschließend genetisch getestet. Fazit: Nur bei 28 wurde der angepeilte Genschnitt nachgewiesen, allerdings auch nur in wenigen Zellen (vgl. FAZ, online, 23. 4. 2015). Erschreckenderweise fanden sich darüber hinaus auch viele nicht beabsichtigte Genveränderungen. „Wenn man die Methode an einem überlebensfähigen Embryo anwenden möchte, braucht man eine Erfolgsrate von fast 100 Prozent“, erklärt Huang laut Nature (doi:10.1038/nature.2015.17378). Die chinesischen Forscher hätten die Versuche, den genetischen Defekt der Beta-Thalassämie an menschlichen Embryonen zu reparieren, vorerst gestoppt, um ihre Methode zu verbessern.
Zuvor hatten zwei hochrangige Forschergruppen eine Denkpause, ein Moratorium gefordert. In Nature und Science warnten sie vor der gezielten Veränderung des Erbguts menschlicher Embryonen (vgl. Nature 2015; 519, 410-411 (26 March 2015) doi:10.1038/519410a). Niemand sollte solche Versuche machen, bevor die Folgen für die Gesellschaft erwogen wurden. Sie wünschen sich Expertenforen, die über die Möglichkeiten und Risiken der genchirurgischen Techniken informieren. Und sie plädieren für eine „global repräsentative Gruppe“, die Öffentlichkeit und Regierungen einschließt und Regulierungen empfehlen soll.
Allerdings blendet dieser Ansatz wesentliche Aspekte aus. Sowohl Kritiker als auch Befürworter der Keimbahntherapie argumentieren vor allem ausgehend von den Folgen - „Folgen gut - daher ethisch in Ordnung?“, fragt IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer kritisch nach. Komplett übersehen werde in der öffentlichen Debatte, dass der Verbrauch von menschlichen Embryonen für die Forschung an sich - egal, ob später daraus brauchbare Therapien entstehen oder nicht - nie wertneutral sein kann. „Der Embryo darf nicht zum Heilmittel für andere degradiert werden“, betont Ethikerin Kummer „Wir haben im Zusammenhang mit der Reproduktionsmedizin schon sehr viele rote Linien überschritten, am Ende der ethischen Provokationsleiter wird nun offenbar auch den Forschern selbst schwindlig“, meint Kummer. Die einen fordern - noch - ein Verbot, weil Gen-Therapie bei Embryonen viele unbekannte Gefahren in sich birgt und Genveränderungen auch an die Nachkommen weitergegeben werden. „Das ist aber nur so lange ein Argument, als es Ängste vor Versagen oder Missbrauch gibt.“
Befürworter der Keimbahnmanipulation argumentieren auch von den Folgen her, nur umgekehrt: Man benütze in der Forschung ohnehin nur „übriggebliebene“ Embryonen. Falls die Therapie gelingt, ließen sich genetische Erkrankungen jedoch an der Wurzel und für immer ausradieren, gerade weil sie ja nicht mehr an künftige Generationen weitergegeben werden. Beide Seiten argumentieren somit bloß mit Nutzen oder Versagen des Verfahrens. Dies zum einzigen oder vorrangigen Kriterium für die ethische Zulässigkeit dieser Versuche zu erheben, sei jedoch unzureichend, betont die Ethikerin.
„Das kommt einer Gummi-Ethik gleich, die letztlich alles 'Nützliche' absegnet, weil es dem Zweck entspricht, aber nicht nach den Mitteln fragt“, gibt die IMABE-Geschäftsführerin zu bedenken. „Ob die Herstellung und Vernichtung von Embryonen im Zuge der Therapiegewinnung jedoch grundsätzlich legitim ist, ist die eigentliche Frage, der wir uns weltweit stellen müssen, wenn wir humanökologisch nachhaltig agieren wollen“, betont Kummer.