Zwei prominente US-amerikanische Bioethiker aus konträren Lagern zeigten sich in einer hochkarätigen Debatte überraschend in einem Punkt einig: Sowohl für Robert P. George, Professor für Rechtswissenschaften an der Princeton University als auch für Arthur Caplan, Direktor des Center for Bioethics an der University of Pennsylvania hätten embryonale Stammzellforscher von Anfang an die Hoffnungen auf zukünftige Therapie aus ihrer Forschung maßlos übertrieben - und sie taten dies bewusst, so die Kritik der beiden Bioethiker, die im Rahmen eines Think-Tank-Gesprächs des Witherspoon Instiute in Princeton/New Jersey über Medizin, Forschung und Ethik zusammentrafen. Publiziert ist die lesenswerte Debatte im Online-Journal Public Discourse: Ethics, Law and the Common Good (online April 2011). Caplan gehört zu den gewichtigsten Stimmen einer liberalen Bioethik und ist der wohl am häufigsten in den US-Medien zitierte Bioethiker. George ist ehemaliges Mitglied von Ex-Präsident Bushs Council of Bioethics, ein führender Konservativer, der sich gegen embryonale Stammzellforschung und Abtreibung ausspricht.
Caplan prangerte ungewöhnlich offen die verbreiteten Unwahrheiten an: "Die embryonale Stammzellforschung war komplett überzogen im Hinblick auf ihre Versprechungen. Dabei haben die Leute das gleich gewusst. Das habe ich mir insgeheim selbst oft sagen müssen, obwohl ich diese Forschung unterstütze. Aber die Vorstellung, dass wir die Menschen innerhalb eines Jahres aus dem Rollstuhl kriegen, wenn nur die embryonale Stammzellforschung ordentlich unterstützt wird, ist einfach absurd... Da wird ständig versichert: Stammzellforschung wird den Alzheimerpatienten helfen. Aber gerade das ist in der Stammzellforschung nicht drin. Alzheimer ist eine Ganz-Hirn-Verwüstung, die keine Zelle auslässt. Das kann man mit Stammzellforschung nicht wettmachen. Modulieren? Vielleicht. Heilen? Nie!"
George ist überzeugt, dass sich die offenbar bewusste Verdrehung der Wahrheit rächen wird: „ es ist genau diese Art von Unehrlichkeit, die die Öffentlichkeit der Wissenschaft entfremdet. Auch wenn die Öffentlichkeit anfänglich alles schluckt und sich die Forscher irgendwie herausreden, dann aber ihre Versprechen nicht einlösen können, wird das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft erschüttert - was wieder die Finanzierung in Frage stellt.“ Letzteres dürfte unter Präsident Barack Obamas Amtszeit vorerst in den USA kein Thema sein: Ein US-Berufungsgericht hat der Regierung Ende April 2011 in zweiter Instanz grünes Licht für die Fortführung der staatlichen Förderung embryonaler Stammzellenforschung gegeben.