Darf man menschliche Embryonen in der (vagen) Hoffnung „verbrauchen“, um mit ihren Stammzellen irgendwann einmal bisher unheilbare Krankheiten therapieren zu können? Widerstand gegen diese nach eigener Einschätzung „marktnahen“ Absichten der EU-Kommission regt sich im Europäischen Parlament. Der Rechtsausschuss hat sich kürzlich eindeutig gegen die Aufnahme der Stammzellforschung in das kommenden EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 ausgesprochen. Eine Forschung, bei der menschliche Embryonen zerstört oder menschliche embryonale Stammzellen benutzt werden, dürfe nicht weiter mit EU-Mitteln unterstützt werden, so das Votum des Ausschusses (vgl. EVP-Abgeordneter Peter Liese, Pressemitteilung, online 18.9.2012). Horizon 2020 soll ab 2014 das auslaufende 7. Forschungsrahmenprogramm ersetzen, der Forschungsetat wurde von 50 auf 80 Milliarden Euro aufgestockt. Noch vor Ende 2013 sollen sich die zuständigen EU-Minister und das Europäische Parlament über die Pläne einigen. Die nächste Beratung darüber ist für 10. Oktober im Ausschuss „Industrie, Forschung, Energie“ angesetzt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Oktober 2011 entschieden (Brüstle vs. Greenpeace, C34-10), dass menschliche Embryonen und deren Stammzellen nicht patentierbar sind, weil dies gegen die Menschenwürde verstoße.
Das deutsche Stammzellgesetz verbietet die Vernichtung von Embryonen für Forschungszwecke und erlaubt die Forschung mit embryonalen Stammzellen nur als streng geregelte Ausnahme. Wenn überhaupt dürfen nur vor dem Mai 2007 gewonnene Zellen dafür verwendet werden. Auch in Österreich ist die sogenannte „verbrauchende Embryonenforschung“ verboten.
Sollte das EU-Forschungsprogramm nun wieder Gelder für die umstrittene Forschung mit Embryonen locker machen, würden österreichische und deutsche Steuerzahler über Umwege Projekte mitfinanzieren, die in ihren eigenen Ländern unter Strafe verboten sind, sagen Kritiker. Explizit ausgeschlossen hatte die EU eine Förderung bislang nur für Projekte, bei denen Embryonen direkt zerstört werden. Sie kennt aber keine Stichtagsregelung. Embryonale Stammzellforschung werde bislang ohne Restriktionen gefördert.
In Deutschland hat sich inzwischen auch eine parteienübergreifende Initiative gegen eine EU-Förderung für Forschung an menschlichen Embryonen formiert, berichtet Der Tagesspiegel (online, 24.9.2012). Laut Abgeordneten von Union, SPD, Grünen und Linkspartei könne es nicht angehen, dass man auf EU-Ebene eine Forschung legitimiere, die national derart umstritten sei ,Sie fordern eine europaweite „offensive Debatte“ darüber, ob und wie weit man „Menschen verzwecken“ dürfe. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen habe zudem bisher keineswegs den versprochenen medizinischen Durchbruch gebracht, betonten die Abgeordneten. Die Förderung solle sich auf erfolgversprechendere Projekte mit adulten oder künstlich reprogrammierten Stammzellen konzentrieren.
Die embryonale Stammzellforschung ist in den EU-Ländern verschieden geregelt und wird zunehmend kontrovers diskutiert. Erst im November 2011 hatte das federführende US-amerikanische Biotech-Unternehmen Geron, das weltweit die ersten klinische Studien mit embryonalen Stammzellen bei vier querschnittsgelähmten Patienten begonnen hatte, die Studie überraschend abgebrochen und das gesamte Forschungsprogramm geschlossen. Der Grund: zu hohe Kosten und kein Erfolg in Sicht (vgl. Bioethik aktuell, 13.12.2011).