Die österreichische Öffentlichkeit darf sich auf eine Debatte über die Präimplantationsdiagnostik vorbereiten. In Deutschland hatte der Bundesgerichtshof (BGH) Anfang Juli 2010 in einem Urteil entschieden, dass die Präimplantationsdiagnostik (PID) nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstößt und daher nicht strafbar ist. Bei der PID werden im Reagenzglas erzeugte Embryonen auf Gendefekte untersucht, bevor sie in die Gebärmutter eingesetzt werden, und im Fall von Schäden vernichtet.
Das Urteil geht auf die Selbstanzeige eines Berliner Gynäkologen zurück, der die Präimplantationsdiagnostik widerrechtlich angewandt hatte. Die Höchstrichter stießen mit ihrem Urteil eine Diskussion zur Änderung des Gesetzes an, mit der das PID-Verbot aufgehoben oder zumindest aufgeweicht werden soll.
Auch Mitglieder der Österreichischen Bioethikkommission sprachen sich offen für die Legalisierung der PID aus. Sie meinen jetzt durch das deutsche Urteil Aufwind zu bekommen. Der Genetiker Markus Hengstschläger von der Medizinischen Universität Wien erklärte gegenüber der Presse (online, 15. 09. 2010), wo er die Zukunft sieht: Österreich solle Präimplantationsdiagnostik, Blastomeranalyse und embryonale Stammzellforschung den Empfehlungen der Kommission entsprechend zulassen.
In Deutschland hat das Urteil des BGH scharfe Kritik hervorgerufen, die evangelische und katholische Kirche reagierte entsetzt. Auch der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, kritisierte das Urteil scharf: Es sei „ein schwerer Schlag gegen den Schutz und die Würde menschlichen Lebens“, so Glück. Durch die PID würden keine Krankheiten behandelt, sondern allein Selektion betrieben. Das Urteil zeige, so der ZdK-Vorsitzende, dass das Bewusstsein für und die Akzeptanz von menschlicher Begrenztheit einem Perfektionsdrang gewichen sei. Dieser Perfektionsdrang sei aber dem Leben in keiner Weise dienlich.
Etliche Politiker der CDU/CSU und der Grünen haben ein rasches Verbot der PID gefordert. Das Online-Portal www.nein-zur-selektion.de bietet Bürgern die Gelegenheit, eine Petition zu unterschreiben, die ein Nein zur Selektion und ein Ja für ein PID-Verbot vorsieht.
Bei der Präimplantationsdiagnostik werden in der Regel mehrere Eizellen befruchtet. Festgestellte Defekte können derzeit nicht korrigiert werden, die Konsequenzen liegen in der Vernichtung des Embryos. Diese Ausleseverfahren, von Kritikern auch genetische Rasterfahndung genannt, stellt eine eugenische Maßnahme dar.
Zweifellos stehen etliche Gynäkologen auch deshalb hinter der PID, weil sie sich dadurch eine höhere Erfolgsrate bei der künstlichen Befruchtung erhoffen. Zwei Drittel der Versuche misslingen, mittels PID soll eine Vorab-Qualitätskontrolle die Auslese weniger geeigneter Embryonen ermöglichen. (vlg. Bioethik aktuell, 17.7. 2007: IVF: Propagierte Vorteile der Präimplantationsdiagnose wissenschaftlich nicht haltbar).