Der Trend ist eindeutig: Laut dem neuen OECD-Report Health at a Glance 2013 (Gesundheit auf einen Blick) ist der Gebrauch von Antidepressiva in den 33 OECD-Ländern in den vergangenen zehn Jahren dramatisch angestiegen. In manchen Ländern, so der Bericht, werde inzwischen mehr als einem von zehn Erwachsenen ein Antidepressivum verschrieben. Island, Australien und Kanada führten 2011 die Tabelle mit bis zu 106 Dosen je 1000 Einwohner pro Tag an, 2000 waren es dagegen nur etwa 70.
Laut OECD-Report könnte auch die Finanzkrise einen Einfluss auf den steigenden Gebrauch von Antidepressiva haben. Die Verschreibungsraten in Ländern wie Spanien und Portugal, die schwer von der Wirtschaftskrise getroffen wurden, sind in den vergangenen Jahren um 20% gestiegen und lagen über dem OECD-Durchschnitt. Eine alleinige Erklärung ist die Finanzkrise jedoch nicht: In Deutschland, das weniger stark davon betroffen war, ist der Gebrauch von Antidepressiva zwischen 2007 und 2011 zwar um 46% gestiegen. Allerdings liegt Deutschland mit 50 Tagesdosen noch unter dem OECD-Durchschnitt von 56 Tagesdosen.
„Diese Ausdehnung hat zur Besorgnis darüber geführt, ob die Verschreibungen angebracht sind“, heißt es in dem OECD-Bericht kritisch. Der Hamburger Mediziner und Sozialpsychiater Klaus Dörner hatte erst kürzlich in Wien anlässlich eines IMABE-Symposiums vor einer „Medizinisierung“ der Psychiatrie gewarnt (vgl. Salzburger Nachrichten, online, 9. 11. 2013). Wenn medizinisch gesehen die Zahl der Depressiven relativ konstant bleibt: Warum steigt dann die Verschreibung von Antidepressiva so rasant an? Die Autoren des OECD-Reports vermuten, dass Antidepressiva immer häufiger auch im Falle von milderen Erkrankungsformen - etwa bei Angstzuständen oder Sozialphobien - verordnet werden, die Therapien fielen allgemein intensiver aus.
Diese Kritik weist die Stiftung Deutsche Depressionshilfe vehement zurück. In einer Stellungnahme (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 23. 11. 2013) wertet sie die ansteigenden Verordnungszahlen als Indiz für den Abbau diagnostischer und therapeutischer Barrieren im Bereich depressiver Erkrankungen, so dass nun eben mehr Menschen behandelt werden könnten. Zurückhaltung signalisiert hingegen die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Harmlosere Befindlichkeitsstörungen sollten nicht vorschnell zu behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen erklärt und dadurch medikalisiert werden, betont DGPPN-Präsident Wolfgang Maier (Pressemitteilung, online, 28. 11. 2013). Damit würde außerdem eine gerechte Verteilung der begrenzten und „gedeckelten“ Ressourcen des Gesundheitswesens erschwert, „vor allem zum Nachteil jener schwer psychisch kranken Menschen, die unbedingt einer sachgerechten medizinischen Hilfe benötigen“, warnt Maier.