Bioethik aktuell

Krebs: Ärzte sterben häufiger zu Hause und verzichten eher auf Therapien

Überversorgung am Lebensende ist unnötig und auch kostspielig

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Die meisten Menschen geben in Umfragen an, dass sie zu Hause sterben möchten. Dennoch landen viele am Lebensende im Krankenhaus. Doch wenn Ärzte selbst Patienten werden, erhalten sie am Lebensende seltener als andere Patienten eine aggressive Therapie und sterben häufiger in den eigenen vier Wänden. Dies zeigt eine in JAMA publizierte Studie (2016; 315: 303-305). Die Autoren untersuchten dabei die Intensität von End-of-Life-Behandlungen und die Wahrscheinlichkeit, dass Ärzte in einem Krankenhaus sterben im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung.

Aus den Daten der staatlichen Krankenversicherung (Medicare) aus vier US-Staaten ermittelte Joel S. Weissman von Brigham and Women’s Hospital in Boston mit seinem Team die Häufigkeit folgender fünf Maßnahmen, die für eine Krankenversorgung am Lebensende (Altergruppe: 65 plus) kennzeichnend sind: die Zahl der Operationen, die Betreuung in Hospizen, die Behandlungen auf Intensivstationen, ein Tod im Krankenhaus sowie die Gesundheitsausgaben insgesamt.

Das Ergebnis: In drei der fünf Punkte unterschieden sich die Ärzte von der Allgemeinbevölkerung: Sie starben seltener in der Klinik (27,9 versus 32 Prozent), sie wurden weniger häufig operiert (25,1 versus 27,4 Prozent) und auch seltener auf Intensivstationen aufgenommen (25,8 versus 27,6 Prozent). Für Studienleiter Weissman von der Harvard Medical School deuten die Ergebnisse auf zwei wichtige Punkte hin: Ärzte seien sich wohl im Angesicht des Todes der Nutzlosigkeit weiterer Therapien bewusst und würden deshalb Operationen und Intensivtherapien vermeiden.

Eine weitere Studie zeigt, dass es in den letzten sechs Lebensmonaten einer unheilbaren Krebserkrankung immer wieder zu Hospitalisierungen kommt - auch wenn dies medizinisch nicht immer sinnvoll ist. Analysiert wurden die Daten von sieben Industrieländern in Nordamerika bzw. Europa. Die Ergebnisse der in JAMA (2016; 315: 272-283) publizierten Untersuchung: Die Mehrheit aller Patienten (Alter: über 65 Jahre) wurde in den letzten 180 Tagen vor ihrem Tod noch einmal in einem Akutkrankenhaus behandelt, etwa ein Viertel erhielt noch einmal eine Chemotherapie. Deutschland wies eine Hospitalisierungsrate von 73,8 Prozent und einen Anteil der Chemotherapie von 35 Prozent auf, in Belgien wurden 89,3 Prozent der Patienten hospitalisiert und 41,0 Prozent erhielten noch eine Chemotherapie.

Das International Consortium for End-of-Life Research (ICELR) zeigte, dass der hohe Anteil der Krebspatienten, die im Akutkrankenhaus sterben, mit ebenso hohen Kosten verbunden ist. Auffallend war die Situation in den USA: 40,3 Prozent der Patienten wurden in den letzten sechs Monaten vor ihrem Tod noch auf einer Intensivstation behandelt, mehr als doppelt so viele als in den Vergleichsländern. Allerdings: Nur 20,2 Prozent starben in den USA im Krankenhaus. Kurze Behandlungszeiten haben wohl dazu beigetragen dass die meisten Krebspatienten noch vor ihrem Tod entlassen werden konnten. Auch in den Niederlanden lag der Anteil mit 29,5 Prozent relativ niedrig. Das Team um Ezekiel Emanuel von der Perelman School of Medicine in Philadelphia führt dies auf den relativ guten Ausbau der palliativen Versorgung in Hospizen zurück. 

Laut EU-Statistikamt Eurostat waren in der EU im Jahr 2013 mehr als ein Viertel aller Todesfälle (26 Prozent) auf Krebs zurückzuführen, betroffen waren 1,3 Millionen Personen. Am höchsten ist der Anteil der durch Krebs verursachten Todesfälle in Slowenien mit 32 Prozent. Österreich liegt mit 26 Prozent genau im EU-Durchschnitt. Positives Schlusslicht stellt Bulgarien mit 17 Prozent dar, was wohl auch auf die durchschnittlich geringere Lebenserwartung in Bulgarien mit rund 75 Jahren im EU-weiten Mittel (rund 81 Jahre) zurückzuführen ist.

Früherkennung, verbesserte Behandlungsmöglichkeiten, steigende Lebenserwartung von Krebspatienten und die demografische Entwicklung werden die Zahl der Betroffenen in Österreich voraussichtlich erhöhen. Im Jahr 2000 lebten in Österreich rund 190.000 Menschen mit Krebs, im Jahr 2010 waren es bereits etwa 305.000, im Jahr 2020 könnten es Berechnungen zufolge 390.000 sein (vgl. Standard, online, 4.2.2016).

Institut für Medizinische
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