Nach einem Schwangerschaftsabbruch können psychische oder körperliche Beschwerden auftreten, doch für die betroffenen Frauen gibt es kaum Angebot für eine professionelle Nachbetreuung. Darauf weist Daniela Karall, Stv. Direktorin des Departements Pädiatrie I an der Meduni Innsbruck hin (vgl. Tirol live, 18.5.2022). Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Frauen, die sich in einem belastenden Schwangerschaftskonflikt befinden, hält sie für unbefriedigend. Während die Fronten in der Debatte um die Abtreibung verhärtet seien, „fallen die eigentlich Betroffenen, nämlich die schwangeren Frauen in Konfliktsituationen durchs Netz und werden nicht aufgefangen“, kritisiert Karall.
In Österreich gibt es pro Jahr 30.000 bis 35.000 Abtreibungen, was im Vergleich zu anderen Ländern hoch ist. In rund 500 Fällen dürfte eine medizinische Indikation - also eine schwere Erkrankung des Kindes oder die Gefährdung des Lebens der Mutter - vorliegen, so die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde Karall.
Die derzeit aufgeheizt öffentliche Debatte zum Thema Abtreibung hält Karall für wenig hilfreich. „Wir müssen eine Ebene des Dialogs finden, um den betroffenen Paaren und Frauen zu helfen und auch alternative Angebote zum Abbruch aufzeigen“, betont Karall. Ein Schwangerschaftsabbruch sei "nicht einfach gleichzusetzen mit einer Blinddarmoperation" und betreffe mehrere Personen: die Frau, aber auch den Vater und das Kind. Anonyme Statistiken zum Schwangerschaftsabbruch - wie etwa in Deutschland und anderen Ländern längst üblich - hält die Ärztin „für wichtig, um die Unterstützungsangebote entsprechend anpassen zu können.“ Sie wünscht sich eine Enttabuisierung des Gesprächs über Abtreibung und Hilfsangebote für Frauen. Es genüge nicht, Betroffenen zu vermitteln, dass der Abbruch ihre freie Entscheidung gewesen sei. Das führe nämlich auch dazu, dass sie bei körperlichen, psychischen oder seelischen Probleme danach alleine bleiben und keine Nachbetreuung angeboten wird.
Auch IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer plädiert für eine „bessere Unterstützung von Frauen im Schwangerschaftskonflikt, Beratung und soziale Netze, die Betroffene auffangen". Die "gesellschaftliche Solidarität mit Menschen am Anfang und am Ende ihres Lebens bricht derzeit weg", konstatiert die Wiener Ethikerin. Es brauche heute eine "neue kulturelle und denkerische Anstrengung, um die Kleinen, Schwachen und Bedürftigen wieder in die Mitte der Gesellschaft hereinzuholen“, so Kummer.
Kummer beobachtet, dass vordergründig der Schwangerschaftsabbruch quasi als "höchster Akt weiblicher Selbstbestimmung hochstilisiert" werde. Im Hintergrund gäbe es jedoch „ein stilles Leid von Tausenden Frauen, die selbstbestimmt leben wollten, aber aufgrund von Fremdbestimmung – durch den Partner, der das Kind nicht will, mangelnde Unterstützung oder soziale Ablehnung von behinderten Kindern - eine Abtreibung als einzigen Ausweg sehen“. Hier brauche es ein Umdenken: „Es muss echte Wahlfreiheit geben. Wir dürfen das Thema der Fremdbestimmung nicht unter den Tisch kehren“, betont die Ethikerin.
Der österreichische Dokumentarfilm Lass uns reden, der sich mit dem sensiblem Thema Schwangerschaftsabbruch aus Sicht der Betroffenen beschäftigt, läuft seit Mai 2022 in den Kinos: Sechs Frauen und zwei Männer sowie vier Expertinnen erzählen darin von ihren Erfahrungen und laden ein, sich auf einen offenen Diskurs zu diesem sensiblem Thema einzulassen.