Unter den Schlagwörtern "individualisierte" oder "personalisierte" Medizin wird seit einigen Jahren ein verführerisches Konzept beworben. Doch diese Form der Heilkunde sei leider nicht Realität, sondern größtenteils Wunschdenken, heißt es in einer kritischen Analyse der Süddeutschen Zeitung (online, 18.3.2011). "Wer heute von personalisierter oder individualisierter Medizin spricht, redet von Science-Fiction", sagt Wolf-Dieter Ludwig, Onkologe und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Vieles, was unter diesem Begriff verhandelt werde, klinge zwar attraktiv, sei aber wenig oder gar nicht belegt, so Ludwig. Gerade der Nutzen der neuen Krebsmittel sei für die meisten Patienten sehr gering. Häufig wird das Überleben nur um wenige Wochen verlängert, bei gleichzeitig schweren Nebenwirkungen.
Auch in den USA mehren sich die kritischen Stimmen gegen vorgeblich maßgeschneiderte Krebstherapie. Tito Fojo und Christine Grady von den National Institutes of Health fordern eine Abkehr von der teuren Übertherapie: "Onkologen sollten sich auch dann unterstützt fühlen, wenn sie entscheiden, dass für bestimmte Patienten der unwesentliche Nutzen die Kosten nicht wert ist." Die Behandlung eines Krebspatienten mit den neuen Therapien koste 30.000 bis 90.000 Dollar, die Erfolge seien gegenüber dem Aufwand bescheiden (vgl. J Natl Cancer Inst 2009, 101:1044-1048).
Medikamente werden zugelassen, ohne dass klar ist, ob Patienten etwas davon haben. Die fragwürdige Neuausrichtung einer „individualisierten Medizin“ wird von der Politik unterstützt, obwohl sie wohl eher forschungspolitische und gesundheitspolitische Interessen propagiert und der Pharmaindustrie Einnahmen beschert als den Patienten nützt: "Manchmal muss man befürchten, dass statt evidenzbasierter Medizin die marketingbasierte Medizin dominiert", kritisiert Ludwig.