Der Tagungsband des interdisziplinären IMABE-Symposiums Grenzsituationen in Medizin und Pflege erscheint nun in der Reihe der Fachzeitschrift Imago Hominis.
Von der Medizin wird erwartet, dass sie die Dinge in den Griff bekommt. Metaphern wie „Wir werden den Krebs besiegen!“ sind Ausdruck solcher Erwartungshaltungen, die schließlich in das Eingeständnis eigener Ohnmacht münden: „Sie hat den Kampf gegen den Krebs verloren.“ Ist es nicht Teil einer technik-orientierten und patienten-ignorierenden Medizin, dass sich sowohl Ärzte, Pflegende als auch Patienten angesichts des Todes offenbar nur noch als „Gescheiterte“ und „Verlierer“ definieren?
Die Medizin als solche ist grundlegend auf „Grenzsituationen“ im Sinne des deutschen Philosophen und Arztes Karl Jaspers (1883 - 1969) bezogen. Dies fordert eine über alles Fachwissen hinausweisende existenzielle Wachheit aller am medizinischen Handeln Beteiligten. Diese Wachheit kann freilich kaum direkt zum Gegenstand einer Ausbildung in den Heilberufen gemacht werden; sie verlangt vielmehr eine persönliche Befähigung und Bereitschaft, sich immer aufs Neue auf Grenzsituationen wirklich einzulassen sowie darin authentisches menschliches Existieren zu erfahren. Welches Bild der Medizin müssen wir dafür wiedergewinnen - und von welchem müssen wir uns verabschieden, um in der Medizin menschlich zu bleiben? Diesen Fragen geht der Philosoph Thomas Sören Hoffmann (FernUni Hagen) in seinem Beitrag nach.
Eine bedrohliche Diagnose mitzuerleben, einen geliebten Menschen leiden zu sehen, heißt für Angehörige oft, dass eine Welt zusammenbricht. Es bedeutet die Erfahrung von Ängsten, ein Nicht-Wahrhabenwollen, Verunsicherung und die Ohnmacht des „Nichts dagegen tun können“. Die Palliativmedizinerin Elisabeth Medicus (Tiroler Hospiz, Medizinische Universität Innsbruck) zeigt auf, wie man Angehörige in diesen Grenzerfahrungen stützen, ihnen Handlungsspielräume eröffnen und Sinnerfahrungen inmitten dieser existentiellen Krise vermitteln kann.
Pflegende haben ein besonderes Naheverhältnis zu ihren Patienten. Man kann sich nicht komplett abgrenzen, wenn man Menschen wahrhaftig und echt begegnen will. Schutzwälle und Mauern sind kontraproduktiv, zugleich ist eine richtige Form von Distanz nötig. Welche Voraussetzungen es braucht, um die Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, zeigt Ingrid Marth (Mobiles Palliativteam, CS Hospiz Rennweg, Wien) auf.
Der steigende Anteil älterer Menschen stellt nicht nur die Gesellschaft, sondern auch das bestehende Versorgungssystem auf die Probe. Der Bedarf wird in den kommenden Jahrzehnten rasant zunehmen. Das Problem wird sich aber nicht allein durch mehr professionelle Pflege lösen lassen, führt der deutsche Pflegewissenschaftler Michael Isfort (Vorstand des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung, Köln) aus. Er zeigt anhand innovativer Beispiele, in welche Richtung die Zukunft der Versorgung älterer Menschen gehen muss.
Die Wiener Radioonkologin und Psychotherapeutin Tilli Egger und der Kinder- und Jugendpsychiater Christian Popow (Medizinische Universität Wien) machen anhand von Fällen aus der Praxis deutlich, dass Grenzsituationen nach klug bedachten, individuellen Lösungen rufen und der Rückzug auf ein Regelwerk kontraproduktiv ist.
Die Imago-Hominis-Ausgabe 1/2020 ist hier abrufbar.