Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Akute Schmerzen sind wichtige Warnsignale des Körpers, chronische Schmerzen hingegen haben ihre biologische Warnfunktion verloren, der Schmerz hat sich verselbständigt und lässt sich häufig nicht mehr einer eigentlichen Ursache zuordnen. Doch wie reagiert die Medizin auf die wachsende Zahl chronisch leidender Menschen? Betreiben wir immer noch eine Medizin des Schmerzes oder sind wir reif für ein Umdenken in Richtung einer Medizin der Schmerzen, die den Patienten in seiner Ganzheit in den Blick nimmt?
„Die Sprache des Schmerzes verstehen“ lautete das am 5. Dezember 2014 von IMABE gemeinsam mit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und der Österreichischen Ärztekammer veranstaltete Symposium. In der aktuellen Ausgabe von Imago Hominis 2/2015 „Die Sprache des Schmerzes verstehen II“ finden sich weitere Beiträge der Referenten zur Nachlese. Band I ist bereits im Dezember 2014 erschienen.
Das stille Leiden am Schmerz habe in der Gesellschaft gleichermaßen zugenommen wie der Verbrauch von starken Schmerzmitteln und die Anzahl von Operationen, kritisiert der Orthopäde Marcus Schiltenwolf (Universität Heidelberg). Der Schmerz gelte heute als „Kampfzone“ in der Medizin und „Panne“, während die Mediziner die Rolle als technische „Reparateure“ eingenommen hätten. Grund dafür seien auch die falschen Anreize des Gesundheitssystems zu weiterer Technisierung. „Viele Beschwerden und Schmerzen sind nicht technisch zu lösen, sondern fordern den Blick auf die Beziehung zum eigenen Körper, auf die eigene Geschichte, die Bindungen zu sich und zu anderen“, betont der Leiter der Schmerzambulanz. „Hier muss jeder Arzt selbst interdisziplinär denken.“
Da Schmerz an die Verwundbarkeit des Menschen erinnert und Fürsorge-Verhalten auslöst, habe die „Utopie einer schmerzfreien Welt“ hohe moralische Kosten, warnt Clemens Sedmak (Universität Salzburg) in seinem Beitrag. Wo das Fürsorgeverhalten wegfalle, gingen auch hohe moralische Kompetenzen verloren. Der Philosoph und Sozialethiker appelliert an die Ärzte zu mehr „Schmerzfreundlichkeit“: Sie sollten den Patienten dabei helfen, eine Sprache und Worte für den eigentlichen Schmerz, den sie erfahren, zu finden und lehren, mit Schmerzen zu leben: „Da Schmerz unvermeidbar zum Leben gehört, sollte der Leib auch guter Gastgeber für ihn sein.“
Die Philosophin Claudia Bozzaro (Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universität Freiburg) bereichert den vorliegenden Tagungsband mit einer Phänomenologie des Schmerzes im Hinblick auf vier Dimensionen menschlicher Existenz: Leiblichkeit, Zeitlichkeit, Intersubjektivität und Selbsterleben. Die Politikwissenschaftlerin Monika Feuchtner (IMABE) und die Onkologin Marion Stoll (Barmherzige Brüder, Wien) präsentieren die Auswertung ihrer Erhebungen zur Kommunikation und Ethik in Pflegeheimen.
Eine Vorschau der Imago-Hominis-Ausgabe 2/2015 mit dem Schwerpunkt „Die Sprache des Schmerzes verstehen II“ findet sich auf http://www.imabe.org/index.php?id=1522, das Einzelheft kann um 10 Euro bezogen werden.