„Herr Doktor, Sie sind meine letzte Hoffnung!“ Patienten, die von chronischen Schmerzen geplagt sind, haben oft eine jahrelange Odyssee hinter sich. Vom Hausarzt zu diversen Fachärzten bis hin zu mehrfachen Operationen: Alles haben sie versucht, um den Schmerz zu bekämpfen - doch das Wunder ist nie eingetreten. Damit beginnt häufig auch ein fataler Kreislauf: Die Erwartung, dass der Schmerz immer wieder kommt, erzeugt Angst, die den Schmerz verstärkt - bis hin zu Depressionen, sozialer Isolation oder auch Berufsunfähigkeit. „Die Bereitschaft für einen invasiven Eingriff ist bei Patienten mit langem Leidensweg sehr hoch“, warnte Astrid Chiari, Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie im Wiener Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Sie forderte beim IMABE-Symposium „Die Sprache des Schmerzes verstehen“, das am 5. 12. 2014 mit rund 200 Tagungsteilnehmern in Wien stattfand, mehr Wahrhaftigkeit im Patientengespräch. Ärzte dürften einem Patienten nicht suggerieren, man könne ihn vom Schmerz befreien, „aber wir können gemeinsam einen Weg gehen“. Zugleich müsse man überzogenen Erwartungen entgegentreten: „Wir müssen auch Patienten, die eine hohe Bereitschaft für eine invasive Therapie haben, vor sich selber schützen“, so Chiari.
Dass das Gesundheitssystem in diesen Fällen vielfach die falschen Anreize setzt, kritisierten die Experten. Das stille Leiden am Schmerz habe in der Gesellschaft gleichermaßen zugenommen wie die starken Schmerzmittel und die rasant steigende Zahl von Operationen. „Viele Beschwerden und Schmerzen sind aber nicht technisch zu lösen, sondern fordern den Blick auf die Beziehung zum eigenen Körper, auf die eigene Geschichte, die Bindungen zu sich und zu anderen“, betonte Marcus Schiltenwolf, Leiter der Schmerztherapie am Universitätsklinikum Heidelberg. Ärzte und Patienten müssen sich vor einer „Zufriedenheitsfalle“ hüten. Mit einem Röntgenbild in der Hand fühle sich der Patient - laut Studien - erwiesenermaßen zufriedener, was in Folge auch den Arzt zufriedener mache. „Geheilt ist der Patient dadurch aber nicht, im Gegenteil: Man weiß, dass diese Patienten immer wieder kommen“, so der Heidelberger Schmerzmediziner. Schmerz und Emotionen werden im gleichen Gehirnareal verarbeitet. Oft liegen auch psychische Faktoren dem Rückenschmerz zu Grunde,wie etwa Kränkung, Mobbing oder sozialer Ausschluss. „Hier muss jeder Arzt lernen, selbst interdisziplinär zu denken.“
Die Zukunft liege in einem multimodalen Schmerzmodell. Dieses basiert neben medikamentöser Therapie oder invasivem Eingriff vor allem auch auf Aktivierung der Eigenpotentiale (Physiotherapie) und wo nötig auch Verhaltens- oder Psychotherapie. „Das ist zwar aufwendiger als reine Schmerztherapie, aber langfristig sicher erfolgreicher“, betont Chiari. Chronische Schmerzpatienten fürchten sich davor, in eine „Psychoecke“ geschoben zu werden, zumal gerade beim chronischen Schmerz häufig keine klare körperliche Ursache dingfest gemacht werden kann. Diese Angst müsse man den Patienten nehmen, denn „psychische Komponenten spielen in der Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung eine entscheidende Rolle“, erklärte der Psychiater Michael Bach, Leiter von promente Reha Salzburg. Die Lebensgeschichte des Patienten bietet einen wesentlichen Teil für das Verständnis ihrer Erkrankung. Zu einer optimalen Schmerzabklärung gehöre deshalb auch die Fähigkeit, ihn auch als psycho-somatisches Ereignis zu erkennen. „Schmerz ist eine Frage an das Leben: Was fehlt mir? Nur so kann man dem Patienten auch helfen“, erklärte Bach.
Der Anästhesist Rudolf Likar, Vorstand des Zentrums für interdisziplinäre Schmerztherapie, Onkologie und Palliativmedizin am Klinikum Klagenfurt, machte deutlich, dass Palliative Care nicht bloß eine Frage am Lebensende ist. Die Behandlung von Schmerz bedeutet pflegerische, spirituelle und psychosoziale Unterstützung des schwerkranken Patienten, von denen vielen wieder nach Hause zurückkehren können.
Da Schmerz an die Verwundbarkeit des Menschen erinnert und Fürsorge-Verhalten auslöst, habe die „Utopie einer schmerzfreien Welt“ hohe moralische Kosten, warnte der Philosoph und Theologe Clemens Sedmak von der Universität Salzburg: Wo das Fürsorgeverhalten wegfällt, gehen auch hohe moralische Kompetenzen verloren. Sedmaks Appell an die Ärzte zu mehr „Schmerzfreundlichkeit“: Sie sollten den Patienten dabei helfen, eine Sprache und Worte für den eigentlichen Schmerz, den sie erfahren, zu finden und sie lehren, mit Schmerzen zu leben: „Da Schmerz unvermeidbar zum Leben gehört, sollte der Leib auch guter Gastgeber für ihn sein“, so der Sozialethiker.
Medienberichte, Abstracts und Fotos finden Sie hier. Bestellungen für die Tagungsbände „Die Sprache des Schmerzes verstehen“ (Band 1 bereits erschienen, Band 2: Frühjahr 2015, Preis: je 10 Euro) richten Sie bitte direkt an das Institut.