Unnötige medizinische Behandlungen seien europaweit ein dringliches Problem, dem entschieden begegnet werden muss. Das betonte EHFG-Präsident Günther Leiner anlässlich der Eröffnung des 14. European Health Forum Gastein (EHFG) in Bad Hofgastein (Presseaussendung online, 5.10.2011). Leiner, selbst Internist, zeigte den Widerspruch der Debatte über die einerseits "drohende Unfinanzierbarkeit des Gesundheitssystems" und andererseits den zunehmenden Phänomen der "Überbehandlung", das seinerseits ökonomische Gründe habe: Hier würden im System "falsche finanzielle Anreize, ein Ausreizen der Abrechnungssysteme, aber auch Anspruchsdenken" herrschen. Dies habe Rückwirkungen auf das ärztliche Ethos: Laut einer Umfrage, die 2010 in der niederländischen Fachzeitschrift De Specialisten publiziert wurde, "hatten sich vier von zehn Fachärzten von der Krankenhausdirektion unter Druck gesetzt gefühlt, Untersuchungen zu veranlassen, die eigentlich nicht nötig wären."
Kritisch betrachtet werden müsste laut Leiner der oft unnötige Einsatz aufwändiger diagnostischer Verfahren. Ein typisches Beispiel seien etwa zu häufig angeordnete CT- oder MRT-Untersuchungen bei Rückenschmerzen: Die Spanne reicht laut OECD-Daten aus dem Vorjahr von 60 CT pro 1.000 Einwohner in den Niederlanden bis zu 320 CT in Griechenland. "Dass sie mehr untersucht werden, macht die Griechen nicht gesünder, aber sicher ihren Staatshaushalt noch ein weiteres Stück ärmer", kritisiert der EHFG-Präsident. Besonders beunruhigend sei in diesem Zusammenhang das Problem unnötiger Operationen, weil chirurgische Eingriffe immer mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko behaftet sind. Erst kürzlich hatte Leiner auf die laut OECD europaweit enormen Unterschiede betreffend Hüft- oder Knieersatzoperationen deutlich hingewiesen: Sie reichen bei Hüfteingriffen von 289 pro 100.000 Einwohner in Deutschland oder 243 in Österreich bis zu 39 Operationen in Polen oder 15 in Zypern. Bei Knieoperationen reicht die Spanne von 206 (Deutschland) bis nur fünf (Rumänien). "Derartige Unterschiede lassen sich ganz gewiss nicht mit medizinischen Gründen erklären", so Leiner: Nicht die Frage, „wie gut man Menschen geholfen hat“, sondern ob das wirtschaftliche Soll erfüllt wurde, werde zum Leitmotiv einer "Ökonomisierung der Medizin". Dadurch würden „Gesundheitsberufe in Konfliktsituationen hineingetrieben, die schwer auszuhalten sind. Die Orientierung am Wohle des Patienten wird Zug um Zug zu einem rein idealistischen Beiwerk herabgestuft", warnte Leiner.