Die aktuellen Zahlen des belgischen Euthanasie-Berichts 2014 zeigen einen neuen Rekordstand. Die Fälle von Tötung auf Verlangen/Assistierter Suizid stiegen seit der Legalisierung im Jahr 2002 von 24 Personen auf das 75-fache im Jahr 2013 mit 1.807 Fällen (vgl. Secrétariat de la Commission Euthanasie: Rapport Euthanasie 2014). Das sind täglich fast fünf Belgier. Die vulnerabelste Personengruppe sind ältere Menschen im Alter zwischen 60 und 90 Jahren: Sie machen 75 Prozent aller Fälle von „aktiver Sterbehilfe“ aus. Die Entscheidung, sich töten zu lassen, war bei Krebskranken am höchsten (73 Prozent der Fälle). 99 Prozent aller Betroffenen werden mit einer Thiopental-Injektion getötet, eine Substanz, die auch als Giftspritze zur Exekution bei Todesstrafe in den USA verwendet wird.
In Belgien ist Euthanasie seit 2002 straffrei, inzwischen wird sie auch bei Neugeborenen und Depressiven angewendet, seit 2014 können auch Minderjährige auf eigenen Wunsch getötet werden. 80 Prozent aller Euthanasie-Fälle finden im flämischen Landesteil statt. Im Jahr 2013 gaben die in Flandern befragten Ärzte an, dass sie bei 4,6 Prozent der Sterbenden den Tod aktiv herbeigeführt hätten (zum Vergleich: 2007 waren es 1,9 Prozent). Der assistierte Suizid, bei dem der Patient sich das tödliche Mittel selbst verabreicht, war mit einem Anteil von 0,05 Prozent sehr viel seltener, wie eine nun im New England Journal of Medicine (2015; doi: 10.1056/NEJMc1414527) publizierte Umfrage unter 6.188 flämischen Ärzten zeigt.
Die Dunkelziffer nicht gesetzeskonform durchgeführter Tötungen ist seit 2007 offenbar gleich geblieben: Damals gab es 1,8 Prozent Euthanasie-Fälle ohne Zustimmung des Patienten, 2013 waren es 1,7 Prozent (unfreiwilliger „Gnadentod“ für 63 Patienten). Kenneth Chambaere von der Vrije Universiteit in Brüssel, Co-Autor der NEJM-Studie, hatte bereits 2010 zu diesem Problem publiziert (vgl. IMABE 2010: Belgien: Euthanasie häufig ohne Zustimmung des Patienten). Er und seine Kollegen schließen aufgrund der Entwicklungen, dass Euthanasie zunehmend von Patienten (und Ärzten) als „gültige Option am Ende ihres Lebens akzeptiert“ werde.
In Ländern, wo nur die Beihilfe zum Suizid legalisiert ist, steigt die Zahl der Fälle ebenfalls. Dies zeigt der aktuelle Death with Dignity Report des US-Bundesstaats Oregon. Dort haben sich im Jahr 2014 105 Menschen mit ärztlicher Unterstützung das Leben genommen, das waren 6,5 mal so viel wie 1998, als assistierte Selbsttötung gesetzlich erlaubt wurde. 2014 gab es eine Steigerung von 44 Prozent gegenüber 2013 (73 Fälle). Das Durchschnittsalter der Suizidanten war 72 Jahre, 56 Prozent dieser US-Bürger war nicht privat versichert.
Laut einer aktuellen Umfrage in Österreich, die das Gfk-Institut im Auftrag des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz durchführte, könnten sich 59 Prozent der 1.200 schriftlich Befragten eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen vorstellen, 34% votierten für ein grundsätzliches Verbot - 7 Prozent der Befragten konnten sich nicht für oder gegen ein Verbot entscheiden (vgl. Pressemitteilung, online, 1. 4. 2015). Laut Hospizverein Steiermark würde das Ergebnis der Umfrage jedoch nicht die Realität in der Betreuung schwerkranker Menschen und Sterbender widerspiegeln. Der Anteil jener Menschen, die sich in ihrer letzten Lebensphase für aktive Sterbehilfe aussprechen würden, sei verschwindend gering, erklärte der Leiter der Palliativstation am LKH Graz, Helmut Samonigg (vgl. ORF, online, 2. 4. 2015).
„Das Ergebnis einer Umfrage hängt entscheidend davon ab, wie die Fragen gestellt werden“, gibt Susanne Kummer, IMABE-Geschäftsführerin zu bedenken. Es mache einen Unterschied, ob man von „aktiver Sterbehilfe“ oder von „getötet werden“ spricht, von „Lebensverkürzung“ oder „Mord“. „Wenn mich jemand fragt, ob man einem unheilbar kranken, schwer leidendenden Menschen den Wunsch zu sterben erfüllen soll, würde ich auch mit Ja antworten“, so die Ethikerin. „Lautet die Frage: Soll man ihm helfen, dass er sich tötet oder umbringen lässt, würde ich wie viele andere Nein sagen.“
Eine Gallup-Meinungsumfrage 2013 unter US-Bürgern zu Euthanasie und assistiertem Suizid habe, so Kummer, bereits gezeigt, wie die Formulierung der Frage die Antworten veränderte. Je nach Wortwahl sank die Zustimmung der Befragten zu Beihilfe zum Selbstmord. Als die Teilnehmer gefragt wurden, ob sie befürworten, das „Leben eines Patienten möglichst schmerzfrei zu beenden“, waren 70 Prozent dafür, lautet die Formulierung hingegen „dem Patienten zu helfen, sich das Leben zu nehmen“, waren es um 20 Prozent weniger.
IMABE-Geschäftsführerin Kummer vermisst klare Begrifflichkeiten: „Die Verwendung des Wortes Sterbehilfe für vorsätzliche Tötung auf Verlangen kommt einer gefährlichen Sprachverschleierung gleich - mit fatalen Folgen. Die Bereitschaft zum Suizid oder der Tötung auf Verlangen werden so gesellschaftsfähig gemacht, Belgien und Oregon sind dafür warnende Beispiele.“