Mit provokanten Äußerungen zum Thema Euthanasie bringen sich derzeit britische Autoren in die Schlagzeilen. So forderte der 60-jährige Martin Amis in einem Interview mit der Sunday Times (online, 24. 01. 2010) anstelle der alten Telefonzellen „Suizid-Häuschen“ für alte Menschen. An jeder Straßenecke sollen die Alten „einen Martini und eine Medaille“ bekommen und durch ihr lässig-freiwilliges Ableben die demografische Zeitbombe entschärfen, die in den Industriegesellschaften nach Amis Auffassung tickt. Auch der Fantasyromanautor Terry Pratchett (62) forderte ein „Recht auf Sterbehilfe“, die Medizin sollte dabei helfen. Pratchett tritt laut Süddeutsche Zeitung (online, 02. 02. 2010) für die Einrichtung einer Kommission ein, die Anträge lebensmüder Briten auf Sterbehilfe prüfen soll. Nachdem seine Alzheimer-Erkrankung vor drei Jahren diagnostiziert wurde, startete Pratchett Kampagnen für die Alzheimer-Forschung. Sein eigenes Schicksal betreffend, das er im britischen TV dokumentieren lässt, meinte er bereits vor Monaten: „Was ich nicht möchte, ist, eine Last zu werden. Wenn es soweit ist, dass man nichts mehr für mich tun kann, wird meine Familie einige sehr schwere Entscheidungen treffen müssen“ (vgl. Die Presse, online 26. 04. 2009).
Wer also trifft die Entscheidung für die „delegierte Selbsttötung“? Der Kranke dank seines freien Willens und seiner Selbstbestimmung? Oder das Umfeld, die Institution? Genau dieser Frage ging jüngst der Philosoph Hans Bernhard Schmid, Professor an der Universität Basel, in einem bemerkenswerten Aufsatz in der Neue Zürcher Zeitung nach (online, 27. 01. 2010). Schmid zeigt auf, dass Euthanasie mit einer gewissen Form von Systemzwang verbunden ist, sobald der Lebensmüde seine Entscheidung anderen mitteilt und sie ihre Rolle der Vollstrecker zu erfüllen haben. Hat der Vorgang der assistierten, gemeinschaftlichen Euthanasie erst einmal begonnen, so wird der Spielraum enger, zurückzurudern oder seine Entscheidung gar zu widerrufen - einfach deshalb, weil ein Kollektiv von Helfern stummen organisatorischen Druck ausübt: Die Abläufe (Mitgliedschaft beim Euthanasie-Verein, zur Vollstreckung bestellter Arzt, fixierter Termin usw.) geben den Ausschlag, der Tod wird zum Funktionserfordernis. Der Sterbewillige ist, so Schmid, „nicht mehr bloß sich selbst gegenüber, sondern auch anderen gegenüber festgelegt - anderen gegenüber, die diese Festlegung dadurch bestätigen, dass sie auf ihrer Grundlage aktiv werden.“ Verwandelt sich hier Freiheit doch wieder in Unfreiheit? Wenn es faktisch unmöglich wird - wie die Praxis zeigt -, dass der Sterbewillige seinen erklärten Willen doch noch ändert, ist das Wort von der Selbstbestimmung auch in dieser Hinsicht letztlich eine Farce.