Stammzellen, die aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden, dürfen nicht für die wissenschaftliche Forschung patentiert werden. Dies entschied der Europäische Gerichtshofs (EuGH) am 18.10.2011 (Rechtssache C-34/10). Wenn Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen zerstört und als Rohstoff für die Forschung verwendet werden, verstoße dies gegen den Schutz der Menschenwürde, urteilten die Richter in Luxemburg. Die Entscheidung gilt für Patente auf embryonale Stammzellen (ES) sowie für die Verfahren zu ihrer Herstellung.
Die Nutzung von ES-Zellen ist äußerst umstritten, weil sie aus Embryonen stammen, die bei der Gewinnung zerstört werden. Nach Ansicht des Gerichts verstößt dies gegen die guten Sitten, weil es sich auch bei befruchteten Eizellen rechtlich um Embryonen handle. „Der Begriff des menschlichen Embryos ist weit auszulegen“, schreiben die höchsten EU-Richter in ihrer Begründung, jede menschliche Eizelle sei vom Stadium ihrer Befruchtung an als „menschlicher Embryo anzusehen, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen“. Das Gleiche gelte für unbefruchtete Eizellen, die durch Zellkern-Transplantation oder anderer technische Eingriffe von außen zur Weiterentwicklung angeregt werden.
Hintergrund des Spruchs der Höchstrichter war ein Patentstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Bonner Neurobiologen Oliver Brüstle. Er hatte 1997 ein Patent auf die Herstellung von Zellen aus menschlichen Embryonen, sowie ihrer Verwendung zu therapeutischen Zwecken, beantragt. Dieses Patent ist zunächst von den deutschen Behörden erteilt worden. Das deutsche Gericht gab jedoch dem Einspruch von Greenpeace gegen das Patent statt. Brüstle legte Revision ein, woraufhin der Deutsche Bundesgerichtshof dem EuGH den Fall vorlegte (vgl. Bioethik aktuell, 17.1.2011 Biopolitik: Europaparlament ist gegen Patentierung embryonaler Stammzellen). In der EU-Biopatentrichtlinie aus dem Jahr 1998 heißt es in Artikel 6, Absatz 2, „dass die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ nicht patentierbar ist.
Interessant ist am jetzigen Richterspruch, dass der EuGH einer für die EU allgemein verbindliche Definition des Embryos selbst in seiner frühesten Phase („früher Embryo“, „Präembryo“ genannt) als nicht kommerzialisierbarer Ware folgt. Damit setzt er ein Signal gegen die in weiten Teilen der EU verbreitete radikal utilitaristische Auffassung, wonach die Zerstörung von Embryonen im Dienste der Wissenschaft oder der Entwicklung von zukünftigen Therapien legitim sei. Diese Position könnte nun angesichts des EuGH-Urteils ins Wanken kommen.
Insgesamt ist zu erwarten, dass die durch private oder EU-Gelder geförderte Embryonen vernichtende Forschung ohne Anspruch auf Patente auslaufen wird, da sie sich finanziell kaum lohnt. Im Vergleich zur dynamischen Entwicklung auf dem Gebiet der induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) und schon bestehender zahlreicher Therapien mit adulten Stammzellen haben ES-Projekte zuletzt ohnehin an Attraktivität verloren.
Für Ralf Huss, Pathologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit Oktober 2011 Geschäftsführer des Münchner Stammzellpioniers Apceth, ist die ganze Aufregung um das EuGH-Urteil unverständlich. Für Deutschland würden sich keinerlei Nachteil ergeben, sagt Huss gegenüber der Tageszeitung Die Welt (online 25.10.2011): "Wir entwickeln wie alle in der deutschen Branche ohnehin nichts auf Basis embryonaler Zellen - nicht aufgrund der strengen Gesetzgebung, sondern weil die embryonalen Stammzellen bisher weder im Labor noch in der Klinik den Therapieerfolg gezeigt haben, der erhofft wurde."