Kritische Stimmen haben Recht behalten: Das im Juli 2011 beschlossenen deutsche Gesetz zu einer beschränkten Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) sollte eine „eng begrenzte Anwendung der PID" sicherstellen: beschränkt auf schwere Erbkrankheiten oder Chromosomenstörungen, auf wenige, speziell zugelassene Zentren und unter strenger Aufsicht einer Ethikkommission (vgl. IMABE-Newsletter Mai 2012). Herausgekommen ist in dem nun vorliegenden Entwurf einer Rechtsverordnung (Stand: 11. Juli 2012) eine praktisch komplette Freigabe des Verfahrens. Politiker von Union und Grünen, Kirchenvertreter sowie die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, üben scharfe Kritik an dem von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) vorgelegten Papier. Die obersten Landesgesundheitsbehörden können bis zum 17. August dazu Stellung nehmen. Anschließend muss noch der Bundesrat der Verordnung zustimmen.
Dass die Anwendung der PID begrenzt wird und der Gesetzgeber sie kontrollieren kann, könne man angesichts dieses Entwurfes „getrost bezweifeln“, kritisiert Woppen (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online 1.8.2012) So sei die Anzahl der PID-Zentren nicht festgelegt, es fehlten zudem einheitliche Kriterien für die dort angesiedelten Ethikkommissionen. Paare würden in einem „Kommissions-Tourismus“ von einem Bundesland ins andere fahren, bis sie ihre Bewilligung bekämen, warnt Woopen.
Der Ethikkommission komme laut PID-Verordnung ohnedies nur noch eine Feigenblatt-Funktion zu: Sie müsste alle Anträge genehmigen, wenn sie den gesetzlichen Kriterien entsprechen, kritisiert der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Hubert Hüppe (CDU). Außerdem sei die Verordnung in Hinblick auf Indikationen „so formuliert, dass letztlich alle PIDs durchgeführt werden können, die nur verlangt werden", so Hüppe.
Angesichts der auch in Österreich von PID-Befürwortern fadenscheinig geführten Diskussion wird immer deutlicher, was die offiziellen Zahlen der Europäischen Gesellschaft für Humane Reproduktion und Embryologie (ESHRE) bereits belegen: Der Hauptgrund für PID ist nicht das Vermeiden von seltenen Krankheiten, sondern die Steigerung der Erfolgsraten der künstlichen Befruchtung (vgl. FAZ, online 12.7.2012). IVF-Zentren wollen ungerichtet nach allen möglichen Defekten in den Embryonen jener Paare suchen, die unfruchtbar sind, obwohl keine Erbkrankheit bekannt ist. So erklärt sich auch, warum der deutsche Entwurf nun offenbar jedes größere Wunschkind-Zentrum für PID zertifizieren will: Die Verfasser gingen von sehr hohen Fallzahlen aus, entsprechend viele Zentren wolle man zulassen. Insofern „könnte es mit dieser Verordnung dazu kommen, dass die PID zum Regelangebot bei der künstlichen Befruchtung wird", sagt Hüppe.
Jörg T. Epplen, Vorstand der Humangenetik Medizinische Fakultät Ruhr-Universität Bochum, rückt angesichts der Gencheck-Debatten die Aussagekraft der Methoden der DNA-Analyse zurecht (vgl. Pressaussendung, 23.7.2012): Die Programme zur Vorhersage der Krankheitsbedeutung neuer DNA-Variationen seien derzeit „mitunter widersprüchlich und daher insgesamt noch völlig unzureichend“, korrigiert Epplen überzogene Erwartungen: Unzählige DNA-Sequenzauffälligkeiten würden sich komplett konkreten Aussagen zu ihrer Bedeutung für den Träger entziehen.