Es ist paradox: Im Juli 2011 hatte der Deutsche Bundestag nach langen und heftigen Debatten beschlossen, das umstrittene Verfahren der PID, also den Gencheck von Embryonen im Reagenzglas vor der Implantation in die Gebärmutter, zuzulassen: für bestimmte Fälle, nur in bestimmten Zentren und nur nach der erforderlichen Genehmigung durch eine Ethikkommission. Im Dezember 2011 trat das Gesetz in Kraft - und seither ist die PID verboten. Der Grund: Bis heute fehlt die dafür nötige Rechtsverordnung, die die Details für die Praxis regelt.
„Dass die Verordnung nun schon ein dreiviertel Jahr auf sich warten lässt, bestätigt, dass das Ansinnen, die PID auf wenige Einzelfälle zu beschränken, in der Praxis undurchführbar ist“, sagt Susanne Kummer, stv. IMABE-Geschäftsführerin. Österreich solle aus dem Beispiel Deutschland seine Lehren ziehen, betont Kummer: „PID, also die Erlaubnis zur Selektion von Embryonen, ist ein Tanz auf dem Vulkan, der sich eben in keine exakten Überwachungsregeln pressen lässt.“
Der deutsche Gesetzgeber erlaubt die PID zur Feststellung „einer schwerwiegenden Schädigung“ der Embryonen, „die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird“. Da dies nie auszuschließen ist, sehen Kritiker den Weg für ein Screening eröffnet bei den jährlich bereits rund 70.000 In-vitro-Fertilisationen in Deutschland.
Weiters darf eine PID laut Gesetz nur „nach einer medizinischen und psychosozialen Beratung“ von „fachlich geschulten Ärzten“ erfolgen. In der Rechtsverordnung zu regeln ist noch, wie die Beratung auszusehen hat und welche Expertise die Ärzte haben müssen. Ferner verlangt das Gesetz das Votum einer Ethikkommission. Wer diese bestellt, wer dort sitzt und wo sie angesiedelt sein sollen, soll ebenfalls in der Verordnung stehen. Unklar ist außerdem deren Kompetenz. Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio sieht diese Instanzen deshalb kritisch. Nach seiner Einschätzung wird der Ethikkommission kaum Entscheidungsspielraum bleiben. Die Experten „werden ihre Entscheidung immer abhängig machen von der Belastung für die Paare oder von deren Lebensverhältnissen“, sagte er. „Wenn das Paar sagt, das ist für uns unerträglich, wird die Kommission dem kaum widersprechen können“. Das Gremium werde damit letztlich eine „Absegnungsinstanz“, so Maio gegenüber der KNA (online, 04. 05. 2012). Oder soll sie entscheiden, ob ein Embryo auch bei spät auftretenden Erbkrankheiten wie Chorea Huntington verworfen werden soll, wie dies einige Reproduktionsmediziner fordern? Offen ist auch, welche und wie viele Zentren die PID anbieten dürfen. Ein schwieriges Unterfangen, da mehr als Hundert Zentren an diesem neuen Markt gerne mitnaschen wollen.
Schließlich muss die Regierung sich festlegen, welche Art der PID überhaupt erlaubt ist. Im Gesetz heißt es nur, dass sie dem „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik“ entsprechen soll. Johannes Singhammer (CSU), ein Initiator des Verbotsantrags im Bundestag, verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach die international übliche Methode in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz (ESchG) unzulässig ist. Das Gesundheitsministerium strebt eine Kabinettsbefassung noch vor der Sommerpause an. Danach muss noch der Bundesrat zustimmen.