In Deutschland war bislang die Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen verboten, wenn nur andere Patienten einen Nutzen davon haben, nicht aber der betreffende Patient selbst. Künftig ist diese für Bevölkerungsgruppen nützliche Forschung am Individuum jedoch unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Der Deutsche Bundestag billigte die entsprechende Gesetzesvorlage mit 330 zu 243 Stimmen (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 9.11.2016) - nach heftigen Debatten und scharfer Kritik von Parlamentariern, Kirchen und Behindertenverbänden. In Hinkunft können klinische Tests an Demenzkranken oder Menschen mit anderen psychischen Erkrankungen auch ohne Nutzen für die Betroffenen durchgeführt werden, sofern ein Nutzen für andere, die an derselben Erkrankung leiden, zu erwarten ist. Voraussetzung ist, dass die Probanden zu einer Zeit, da sie noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, nach ärztlicher Aufklärung eine entsprechende Verfügung verfasst haben. Sie müssen über Wesen, Ziele, Nutzen, Folgen, Risiken und Nachteile klinischer Prüfungen umfassend aufgeklärt werden. Zudem darf der Proband nur minimalen Risiken und Belastungen ausgesetzt werden. Verbale oder nonverbale Gesten sollen genügen, um die Einwilligung für Versuche auch später jederzeit widerrufen zu können.
Kritiker sehen ein Gefahrenpotenzial im Umgang mit nicht einwilligungsfähigen Menschen. Diese müssen als besonders vulnerable Personen gelten, für die ein hohes Schutzniveau gewährleistet sein muss, betont etwa Brigitte Huber, Sprecherin des Ökumenischen Arbeitskreises Ethik und Menschenrechte in München. Das Verbot von fremd- und gruppennütziger Forschung sei in der UN-Behindertenkonvention festgelegt und dürfe nicht aufgeweicht werden (vgl. Stellungnahme, online, 29.6.2016). Zudem seien laut Huber Begriffe wie „minimales Risiko“ und „minimale Belastung“ interpretierbar. Völlig unklar sei, wie eine solche Aufklärung erfolgen soll, da das Studiendesign zum Zeitpunkt der Abfassung der Verfügung noch gar nicht bekannt sei. Für Huber ist interessant, dass offenbar die forschende Pharmaindustrie weder Bedarf noch eine Notwendigkeit für eine solche Forschung sieht, weil die Ziele auch mit noch einwilligungsfähigen Probanden zu erreichen sind. Selbst die Deutsche Alzheimer Gesellschaft habe keinen konkreten Forschungsbedarf gesehen, so Huber (vgl. Imago Hominis 4/2016).
Für den Philosophen Marcus Knaup von der Fernuniversität Hagen steht ein immer weiter erstarkender Utilitarismus hinter dem Gesetz: „Das pure Nützlichkeitsprinzip steht hier im Vordergrund. Eine Handlung soll ein Maximum an Wohlergehen für alle, die von ihr betroffen sind, erzielen. Der Einzelne wird dadurch aber immer unwichtiger.“ (vgl. Stellungnahme zu Studien mit Demenzkranken, online, 28.11.2016).
Mit der Neuregelung, die Teil einer Neufassung des Arzneimittelgesetzes ist, sollen EU-Vorgaben zur Harmonisierung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln umgesetzt werden. Kritiker unterstreichen, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie zu klinischen Studien keineswegs die national strengeren Schutzregelungen hätte aufweichen müssen. Die EU-Verordnung soll mit Oktober 2018 in Kraft treten.