Schottland hat den Gesetzesentwurf zur Legalisierung des Assistierten Suizid mit deutlicher Mehrheit abgelehnt: 82 Parlamentarier stimmten am 27. Mai 2015 gegen die Beihilfe zum Selbstmord, 36 waren dafür. Die Vorsitzenden der vier stärksten Parteien - der linksliberalen Schottische Nationalpartei, Labour, Konservativen und Liberaldemokraten - lehnten geschlossen den vom Vorsitzenden der Grünen, Patrick Harvie, seit April 2014 forcierten Gesetzesentwurf ab.
Der Gesundheitsausschuss des Schottischen Parlaments hatte sich Ende April 2015 nach eingehender Auseinandersetzung und Einholung zahlreicher Expertenstellungnahmen in seinem 80-seitigen Report on Assisted Suicide (Scotland) Bill kritisch und ablehnend gegenüber dem neuen Gesetz geäußert. Dieses hatte vorgesehen, dass lizenzierte Vermittler Personen ab 16 Jahren auf deren wiederholten Wunsch im Abstand von 14 Tagen beim Suizid unterstützen könnten, vorausgesetzt, sie leiden an einer terminalen (keine Fristangabe notwendig) oder lebensverkürzenden Erkrankung und beurteilen ihre Lebensqualität als unerträglich.
Die Kernpunkte der Kritik lauteten: Zentrale Begriffe wie „tödliche Krankheit“ oder „lebensverkürzende Krankheit“ sowie „unerträgliche Lebensqualität“ „ohne Aussicht auf Besserung“ wurden nicht definiert. Unter „lebensverkürzend“ könne man zahlreiche Krankheiten anführen, wie zum Beispiel den Typ 2-Diabetes, es könne aber nicht Intention des Gesetzes sein, Diabetes-Patienten unter Suizidwillige zu subsumieren. Der Gesundheitsausschuss kritisiert zudem, dass keine Differenzierung zwischen Töten, Beihilfe zur Tötung und Annehmen des natürlichen Todes (Sterbenlassen) unternommen werde. Zudem könne, wer Beihilfe zum Suizid in Aussicht stellt, nicht zugleich effiziente Suizidprävention betreiben.
Für das bestehende Verbot der Beihilfe zum Suizid spricht, dass eine Lockerung negative Auswirkungen auf Menschen mit Behinderung bedeuten sowie das Vertrauen im Arzt-Patient-Verhältnis untergraben würde. Bereits vor fünf Jahren war ein ähnlicher Gesetzesentwurf - End of Life Assistance (Scotland) Bill - vom Parlament abgelehnt worden.
Eine Nachlese von Argumenten der auch für Österreich interessanten Parlamentsdebatte findet sich unter Holyrood Debate Highlights. Gordon Macdonald, schottischer Vorsitzender von Care not Killing, dem Dachverband der Organisationen gegen Beihilfe zur Selbsttötung, betonte, dass es in der heutigen individualistischen Gesellschaft wichtig sei, den ohnehin schon hohen Druck auf kranke, behinderte und ältere Menschen, sich als „untragbare Belastung“ für andere zu fühlen, nicht zu verstärken. Ein Gesetz, das sich um den Schutz dieser stillen und verletzlichen Mehrheit sorgt, sei wichtiger als Wahloptionen für eine Minderheit zu öffnen, so MacDonald (Stellungnahme, online, 27.5.2015).
Dass es sich um eine Personenzahl im statistischen Promille-Bereich handelt, zeigten jüngst zwei deutschlandweite Umfragen unter Experten der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, die im Auftrag der Deutschen PalliativStiftung und der Universität Homburg/Saar durchgeführt wurden. Bei über 19.000 verstorbenen Palliativpatienten im Jahr 2014 gab es keinen Einzigen, der sich wegen unbehandelbaren Leidens das Leben nahm. Von rund 10 Prozent der Patienten oder deren Angehörigen wurden die befragten Palliativexperten zu Beginn der Behandlung um Beihilfe zur Selbsttötung oder Tötung auf Verlangen gebeten; nur rund 1 Promille beendete ihr Leben vorzeitig, weil sie nicht mehr leben wollten - und ohne deren Beihilfe, so die Deutsche PalliativStiftung (Pressemitteilung, online, 29.5.2015). Die Details der Studien sollen noch vor der Sommerpause dem Deutschen Bundestag vorgestellt werden, der derzeit über ein neues Sterbehilfe-Gesetz berät. Palliativversorgung ermöglicht ein schmerzarmes Lebensende, wenn kurative Medizin an ihre Grenzen gestoßen ist, so der Palliativmediziner Thomas Sitte. Die Realität zeige, dass bei gut umsorgten Palliativpatienten in der Regel der Wunsch nach Tötung verschwinde, wenn Angst und Schmerzen gemildert werden konnten.