Der Pharmakonzern Bayer muss erneut in Sachen Antibaby-Pille vor Gericht. Nach Tausenden Klägerinnen in den USA hat nun auch eine deutsche Patientin den Yasminelle-Hersteller auf Schmerzensgeld und Schadenersatz geklagt. Sie wirft Bayer vor, noch im Jahr 2009 die Risiken, die mit der Einnahme der Antibabypille der vierten Generation - bekannt unter dem Handelsnamen Yasminelle, Yasmine, Yaz u. a. - verbunden sind, verschwiegen zu haben. Die Klägerin habe durch die Einnahme des kombinierten oralen Kontrazeptivums Yasminelle mit dem Gestagen Drospirenon eine Lungenembolie erlitten. Der Prozess begann Mitte Dezember am Landgericht Waldshut-Tiengen und wurde auf 2016 vertagt (vgl. Spiegel, online, 16.12.2015).
Der Versuch einer außergerichtlichen Einigung zwischen dem Pharmakonzern und der heute 31-jährigen Felicitas Rohrer war zuvor gescheitert. Die sportliche Nichtraucherin und Vegetarierin hatte im Alter von 25 Jahren wenige Monate nach regelmäßiger Einnahme von Yasminelle eine Lungenembolie erlitten, an der sie fast gestorben wäre. Sie überlebte durch Reanimiation und muss nun lebenslang blutverdünnende Medikamente zu sich nehmen. Rohrer hat eine Selbsthilfegruppe von durch die Pille geschädigte Frauen gegründet, zumal gesundheitliche Gefahren seitens der Hersteller heruntergespielt würden (Die Welt, online, 9.10.2015). Ob Yasminelle tatsächlich die Ursache für Lungenembolie war, ist nun Gegenstand von Sachgutachten.
Die Klägerin berichtet indes von mehr als etwa 470 weiteren Frauen allein in Deutschland, die ebenfalls Thrombosen erlitten hätten, berichtet die TAZ (online, 15.12.2015) Mit ihrer Plattform risikoPille hat sie sich mit ihren Mitstreiterinnen zum Ziel gesetzt, dass Antibabypillen mit erhöhtem Risikopotenzial für Frauen vom Markt genommen werden - allen voran jene Produkte mit dem Wirkstoff Drospirenon, der auch in anderen Verhütungspillen enthalten ist und für ein erhöhtes Thromboserisiko verantwortlich sein soll. Außerdem will Rohrer eine Einstellung von verharmlosender Werbung für Antibabypillen als Lifestyle-Produkt erreichen und fordert eine bessere Aufklärung für und durch Gynäkologen über die Nebenwirkungen der Pille und anderer hormoneller Verhütungsmethoden.
In den USA musste Bayer in außergerichtlichen Einigungen bereits rund 1,9 Milliarden Dollar an tausende Klägerinnen zahlen. Vom Markt musste der Konzern die Pille aber nicht nehmen. Insgesamt hatten Bayer zufolge in den USA bis Mitte Oktober 2012 etwa 13.500 Frauen gerichtlich und außergerichtlich Ansprüche gestellt.
Inzwischen wurde Bayer in der EU und den USA dazu verpflichtet, durch stärkere Warnhinweise auf das erhöhte Thrombose-Risiko der dritten und vierten Pillen-Generation im Beipackzettel hinzuweisen (vgl. Bioethik aktuell, 16.4.2012). In Frankreich ist die Pille Diane 35 aus dem Haus Bayer wegen der Thrombosegefahr und mehreren Todesfällen seit drei Jahren verboten (vgl. Tagesspiegel, online, 16.12.2015).
„Die Evidenz ist relativ eindeutig, und vor allem die unabhängigen Studien zeigen, dass die Gestagene der dritten und vierten Generation ein doppelt so hohes Risiko für Thrombosen aufweisen im Vergleich mit den älteren Präparaten. Die Studienergebnisse dazu weisen seit Jahren in diese Richtung“, erklärt der Pharmakologe Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen gegenüber Medscape Deutschland (vgl. Medscape, online, 23.12.2015). Dennoch zeigt der Pillenreport 2015 der Deutschen Techniker Kasse, dass Präparate der 3. und 4. Generation wesentlich häufiger verordnet werden als die Pillen der ersten und zweiten Generation - trotz des höheren Thromboserisikos. Gerade jungen Frauen würden vorwiegend die neueren Gestagene bzw. Präparate mit höherem oder unklarem Risiko verschrieben.
Dänische Wissenschaftler hatten 2012 in einer im British Medical Journal veröffentlichten Studie (2012; 344 doi: 10.1136/bmj.e2990) gezeigt, dass nicht nur die Art und Konzentration der Hormone, sondern auch die Anwendung eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Thrombose-Gefahr spielen. Sie stellten fest, dass transdermale Pflaster, aber auch Vaginalringe mit einem bis zu doppelt so hohen Thrombose-Risiko assoziiert sind im Vergleich mit der herkömmlichen Pille (vgl. Bioethik aktuell, 11.6.2012).
Seit der Übernahme des Konkurrenten Schering im Jahr 2006 ist Bayer der weltweit größte Hersteller von Verhütungsmitteln, die auch zu den umsatzträchtigsten Produkten gehören. Im vergangenen Jahr setzte der Konzern mit den Produkten Yaz, Yasmin und Yasminelle 768 Millionen Euro um, mit der Verhütungsspirale Mirena 819 Millionen Euro - insgesamt mit allein diesen Hormonpräparaten mehr als dreimal so viel wie mit Aspirin (486 Mill. Euro).