Die Studiendaten sind noch unvollständig, umstritten sind die teuren Truvada-Tabletten auch. Als Kombinationspräparat zur Aids-Therapie war das Mittel bereits zugelassen, nun wurde es über die bisherigen Indikationen hinaus auch als Präventiv-Pille zum Schutz vor HIV-Infektionen in den USA offiziell zugelassen, berichtet Focus (online, 17. Juli 2012).
Die FDA folgte damit der Empfehlung eines Expertenausschusses, der vor rund zwei Monaten geraten hatte, das vom US-Pharmaunternehmen Gilead Sciences produzierte Medikament mit dem Namen Truvada zur Prophylaxe zuzulassen. Zielgruppe sind gesunde Menschen mit hohem Infektionsrisiko - also beispielsweise mit einem HIV-positiven Partner. Die Tabletten müssen täglich eingenommen werden, Kondome der Behörde zufolge aber unbedingt zusätzlich verwendet werden.
Die FDA stützt sich bei der Zulassung vor allem auf zwei Studien, denen zufolge Truvada das Risiko der Ansteckung mit HIV sowohl für heterosexuelle als auch für homosexuelle Menschen deutlich mindert. In einer klinischen Studie mit Truvada hatte sich unter anderem das Infektionsrisiko heterosexueller Partner, von denen einer seropositiv war, um bis zu 75 Prozent verringert. In einer anderen Studie unter homosexuellen Nichtinfizierten sank das Infektionsrisiko um bis zu 73 Prozent.
Die Ankündigung der Zulassung des Medikaments erfolgte medienwirksam knapp vor Beginn der internationalen Aids-Konferenz, die von 22. bis 27. Juli mit rund 25.000 Teilnehmern in Washington stattfand. Von „Meilenstein“ und „Durchbruch“ war die Rede, doch es gab auch harsche Kritik. So sprach Michael Weinstein, Präsident der AIDS Healthcare Foundation, von einer „Katastrophe für die HIV-Prävention“.
Kritiker wie er warnen davor, dass Truvada dazu verleiten könnte, das HIV-Infektionsrisiko zu unterschätzen. Ärzte befürchten, dass HI-Viren resistent gegen Truvada werden könnten. Außerdem weiß man erst wenig über mögliche Spätfolgen etwa für die Nieren- und Knochengesundheit bei einer jahrelangen Einnahme. Die Wirkungsweise der Pille im weiblichen Organismus ist angesichts der Studienausrichtung zu wenig erforscht. Und schließlich seien die Kosten mit rund 800 Euro pro Monat sehr hoch.
Glenda Gray und Neil Martinson von der vorgeburtlichen HIV-Forschungsabteilung der Universität Witwatersrand in Johannesburg weisen darauf hin, dass sich die Versorgung mit HIV-Medikamenten in vielen Gebieten bereits jetzt nicht sicherstellen lasse. Die Programme dafür seien vielfach überfordert, warnten sie soeben im New England Journal of Medicine (2012; 367: 462-465). Ob die europäische Zulassungsbehörde EMEA dem Vorbild der FDA folgen wird, ist offen.
Mehr als 34 Millionen Menschen weltweit leben mit HIV, davon rund 23,5 Millionen in Afrika südlich der Sahara. 2011 infizierten sich 2,5 Millionen Menschen neu mit HIV - ein Fünftel weniger als noch 2001. Doch nicht überall sinken die Neuinfektionszahlen - in Zentralasien, Osteuropa, dem Mittleren Osten und Nordafrika steigen sie sogar, ebenso unter Homosexuellen. Außerdem nehmen die Resistenzen gegen HIV-Medikamente zu. Hilfsorganisationen kritisieren, dass neu entwickelte Medikamente immer noch viel zu teuer sind.