Neodarwinistische Evolutionstheorie, Intelligent Design und die Frage nach dem Schöpfer

Imago Hominis (2007); 14(1): 47-81
Martin Rhonheimer

Aus einem Schreiben an Kardinal Christoph Schönborn

Zusammenfassung

Die neodarwinistische Evolutionstheorie ist trotz ihrer Unvollständigkeit und ungelösten Probleme gegenwärtig die plausibelste wissenschaftliche Erklärung der Entwicklungsgeschichte des Lebens. Philosophisch gesehen ist sie mit dem christlichen Schöpfungsglauben vereinbar. Die Ansicht, der Neodarwinismus impliziere notwendigerweise Atheismus und Materialismus ist nicht haltbar. Der klassische „Gottesbeweis“ auf Grund der teleologischen Struktur von Naturprozessen, lässt sich, insbesondere in der Form, wie sie ihm Thomas von Aquin gegeben hat, auch auf ein Universum anwenden, dessen biologische Entwicklung allein durch zufällige Genmutation und natürliche Selektion bestimmt ist. Ob die neodarwinistische Evolutionstheorie richtig oder in welcher Hinsicht sie korrigiert werden muss, darüber hat allein die naturwissenschaftliche Forschung und weder die Philosophie noch die Theologie zu entscheiden. Deshalb ist auch die Theorie des „Intelligent Design“ abzulehnen: Sie vermischt in unzulässiger Weise Naturwissenschaft und Theologie, missachtet den legitimen „methodologischen Materialismus“ der Naturwissenschaft und arbeitet mit einem unklaren Naturbegriff.

Schlüsselwörter: Evolutionstheorie, Neodarwinismus, Intelligent Design, Schöpfung, Gott, Materialismus, Atheismus, natürliche Selektion, Natur

Abstract

Despite its incompleteness and many unsolved problems, the Neo-Darwinist theory of evolution is at present the most plausible scientific explanation of the evolution of life. Philosophically, this theory is compatible with the Christian belief in a Divine Creator. The idea that Neo-Darwinism necessarily implies atheism and materialism is erroneous. The classical proof of the existence of God on the basis of the teleological structure of natural processes, especially in the form given to it by Thomas Aquinas, can be applied to a universe, whose biological evolution is characterized by random genetic mutation and natural selection. Whether the neo-Darwinist theory of evolution is true or in what respect it must be corrected, has to be determined solely by science and not by philosophy or theology. This is also the main reason why the so-called “intelligent design” movement is to be rejected: it mixes up in undue manner science and theology, disregards the sound “methodological materialism” of science and works with a confused concept of nature.

Keywords: Theory of evolution, neo-Darwinism, intelligent design, creation, existence of God, materialism, atheism, natural selection, nature


Vorbemerkungen

Bei dem nachfolgend veröffentlichten Text handelt es sich um ein Schreiben an Kardinal Christoph Schönborn vom 7. Februar 2006. Anlass dieses Briefes waren die Diskussionen um den vom Wiener Erzbischof im Juli 2005 in der New York Times publizierten Artikel „Finding Design in Nature“, in dem der Kardinal heftige Kritik an der neodarwinistischen Evolutionstheorie äußerte. In seinem Brief nahm der Autor zu einigen, von Kardinal Schönborn auch in seinen nachträglichen Wiener Katechesen zum Thema „Evolution und Schöpfung“ aufgeworfenen Fragen und Positionsbezügen kritisch Stellung. Ganz besonders wandte er sich dabei gegen die von der „Intelligent Design“-Bewegung vertretene angebliche Alternative zur neodarwinistischen Evolutionstheorie. In seinem Vortrag „Fides, Ratio, Scientia. Zur Evolutionsdebatte“ beim Schülerkreistreffen in Castel Gandolfo vom 1. – 3. September 2006* nahm Kardinal Schönborn wiederholt auf dieses Schreiben Bezug und zitierte daraus.

Im Einverständnis mit Kardinal Schönborn hat sich der Autor nun entschlossen, den größten Teil dieses Briefes durch seine Publikation öffentlich zugänglich zu machen. Für die Veröffentlichung wurde der Text vom Autor selbst etwas überarbeitet. Insbesondere wurde auf die direkte Anrede und einige eher persönliche Passagen verzichtet, jedoch – abgesehen von geringfügigen Korrekturen – der ursprüngliche Wortlaut und der informelle und oft redundante Briefstil beibehalten. Neu hinzugefügt wurden die Zwischentitel sowie sämtliche Anmerkungen. In ihnen finden sich wichtige Präzisierungen und weiterführende Überlegungen, die oft wesentlich über das im Haupttext Gesagte hinausführen. Der Autor geht dabei insbesondere auf einen, wie ihm scheint, problematischen Artikel von Adrian Walker in der Internationalen Katholischen Zeitschrift „Communio“ ein, auf den Kardinal Schönborn in seinem Vortrag in Castel Gandolfo ebenfalls Bezug genommen hatte. (Adrian Walker ist allerdings kein Befürworter, sondern selbst ein Kritiker von „Intelligent Design“.) An dieser Stelle sei Kardinal Schönborn für sein großzügiges Einverständnis, den Text des Briefes vom Februar 2006 zu veröffentlichen, herzlicher Dank ausgesprochen. Der Leser möge bei der Lektüre der nachstehenden Ausführungen deren ursprünglichen Kontext und spezifische Thematik beachten. Diese erklären, weshalb die gerade von Vertretern des Neodarwinismus oft aggressiv vorgetragene „evolutionistische Ideologie“, welche Naturwissenschaft ideologisch missbraucht, um damit ein atheistisches und materialistisches Weltbild zu begründen, hier nur beiläufig und vergleichsweise milde kritisiert wird. Im Zentrum des Folgenden steht die Kritik an der umgekehrten Versuchung, jener nämlich, zum Zwecke der Abwehr eines solchen ideologischen „Evolutionismus“ und seiner atheistischen und materialistischen Implikationen, die neodarwinistische Theorie der Evolution des Lebens selber anzugreifen oder gar gänzlich abzulehnen. Beiden Versuchungen ist die Ausgangsbasis gemeinsam: die Überzeugung, die neodarwinistische Evolutionstheorie impliziere Atheismus und Materialismus. Doch, so die Überzeugung des Autors, diese Ansicht ist falsch. Beabsichtigt ist allerdings keinesfalls eine naturwissenschaftliche Verteidigung des Neodarwinismus; der Autor enthält sich der naturwissenschaftlichen Beurteilung dieser Theorie. Vielmehr geht es ihm um ein – aus aristotelisch-thomistischer Sicht argumentierendes – philosophisches Plädoyer für die Vereinbarkeit von neodarwinistischer Evolutionstheorie und christlichem Schöpfungsglauben sowie um die Verteidigung der legitimen methodologischen Autonomie der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Es gibt, so die Schlussfolgerung, zurzeit auch aus theologischer oder philosophischer Warte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Theorie der Entwicklung des Lebens in ihrer neodarwinistischen Form trotz ihrer Unvollständigkeit und ungelösten Probleme gegenwärtig die plausibelste wissenschaftliche Erklärung der Entwicklungsgeschichte des Lebens ist. In welcher Hinsicht sie korrigiert werden muss oder ob sie sogar falsch ist, darüber hat allein die naturwissenschaftliche Forschung und weder die Philosophie noch die Theologie zu entscheiden. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb insbesondere die Theorie des „Intelligent Design“ abzulehnen ist: Sie vermischt in unzulässiger Weise Naturwissenschaft und Theologie.

Einleitung

Die Vertreter der Intelligent Design-Bewegung sind der Meinung, die Evolutionstheorie in ihrer heutigen Form sei als wissenschaftliche Theorie falsch, und verstehen Intelligent Design (ID) nicht nur als philosophische oder theologische Verteidigung der Schöpfungslehre, sondern als naturwissenschaftliche Alternative – oder zumindest als wissenschaftliche Ergänzung – zur Evolutionstheorie, die sie in ihrer heute dominanten neodarwinistischen Gestalt nicht nur als unvollständig (oder unfertig) kritisieren, sondern in ihrer Grundidee einer Evolution durch die Kombination von Zufallsmutationen und natürlicher Selektion ablehnen. So erklärte Michael Behe in einem auch vom Discovery Institute (Seattle) verbreiteten Interview mit Mark Ryland im Our Sunday Visitor1 Folgendes:

„More specifically in my field of biology, the ID movement is beginning to question the claims of neo-Darwinian evolutionary theory and to propose that a better scientific explanation of the data is some kind of intelligent cause rather than random variation and natural selection.“

Wie ich es sehe, findet sich hier eine verhängnisvolle Vermengung von Naturwissenschaft und Theologie, kombiniert mit einem erstaunlichen Defizit an methodisch sauberer philosophischer Reflexion bzw. mit einem relativ primitiven philosophischen und wissenschaftstheoretischen Unterbau. Behe versteht ID als a better scientific explanation, als eine „bessere wissenschaftliche Erklärung“. Diese ist some kind of intelligent cause: für Behe ist diese intelligente Ursache der göttliche Schöpfer, der in die Natur eingreift und die Evolution planvoll steuert (eine für mich philosophisch und theologisch etwas gar zu simpel anmutende Erklärung). Für andere ist es vielleicht eine naturimmanente Ursache (was an Pantheismus grenzt). Beides ist, wie ich nachfolgend argumentieren werde, höchst problematisch, ja zumindest für einen Thomisten, wie ich es bin, philosophisch unplausibel. Behe meint am Ende seines Artikels Molecular machines: Experimental Support for the Design Inference2: „It is often said that science must avoid any conclusion which smacks of the supernatural. But this seems to me to be both bad logic and bad science.“ Zu meinen, die Naturwissenschaften könnten mit ihren eigenen Methoden und auf ihrem Feld die Spuren übernatürlichen göttlichen schöpferischen Eingreifens feststellen, ist eine alte und große Illusion, die immer zu Verwirrung und schließlich zur Diskreditierung sowohl des Schöpferglaubens als auch der entsprechenden Philosophie und Theologie geführt hat. Man soll einen Fehler – ein materialistisches und atheistisches „naturwissenschaftliches Weltbild“ – nicht durch einen anderen, genau korrelativen Fehler korrigieren, nämlich den Deus ex machina, der der Natur (und der Naturwissenschaft) auf die Sprünge hilft. Erliegt man dieser Versuchung, so bringt man gerade dadurch den Glauben in Gefahr, weil dann mit zunehmendem wissenschaftlichem Fortschritt Gott immer überflüssiger zu werden scheint.

Die Evidenz von Zweckmäßigkeit und Ordnung in der Natur

Dass die Natur in sich ein Bild von Zweckmäßigkeit und Ordnung zeigt, bestreitet eigentlich niemand, am Allerwenigsten die Naturwissenschaftler.3 Nicht nur Vertreter von ID, sondern auch andere Kritiker der Evolutionstheorie in ihrer neodarwinistischen Form behaupten nun aber, dass eine Theorie, welche die zunehmende (nicht ursprüngliche) Entstehung dieser Ordnung – besser: ihre innere Entwicklung – als einen Prozess von „Zufall und Notwendigkeit“ beschreibt, mit der Tatsache, dass die Natur ein Bild von Zweckmäßigkeit und Ordnung bietet, im Widerspruch steht. Das ist aber meiner Ansicht nach nicht der Fall.

Ich will nicht behaupten, dass die neodarwinistische Evolutionstheorie vollständig oder überhaupt richtig sei (dazu fehlt mir die Kompetenz), oder dass sie bereits alles erklären könne; ich akzeptiere sie als heutigen Stand der Wissenschaft, ohne ihre wissenschaftliche Qualität zu beurteilen. Hinweise auf die Unvollständigkeit der Theorie, missing links und manch andere ungeklärte Frage fallen nicht ins Gewicht und können der neodarwinistischen Evolutionstheorie nichts von ihrer gegenwärtigen Gültigkeit nehmen, so lange es keine alternativen naturwissenschaftlichen, empirisch überprüfbaren Theorien gibt. ID ist jedenfalls keine solche Theorie, weil sie zur Beantwortung naturwissenschaftlicher Fragen auf übernatürliche Ursachen rekurriert. ID könnte höchstens eine Art – in dieser Gestalt allerdings reichlich fragwürdiger – philosophischer Gottesbeweis in der Tradition der Quinta via4 sein, aber dann dürfte ID sich nicht als Alternative zur neodarwinistischen Evolutionstheorie bezeichnen und den Kampf gegen sie im Namen der Wissenschaft führen.

Richtig kann gemäß ID nur eine naturwissenschaftliche Theorie sein, die – als naturwissenschaftliche Theorie – in der Natur auch Elemente der absichtsvollen (sprich: intelligenten) Planung (= intelligent design) und Lenkung akzeptiert. Für viele ist die Tatsache von Ordnung und Zweckmäßigkeit in der Natur schon Grund genug, das Anliegen von ID als gerechtfertigt zu betrachten und sie als wissenschaftliche Alternative zur neodarwinistischen Evolutionstheorie ernst zu nehmen. Doch das beruht auf einer Täuschung.

Design ist ein Synonym für intention und purpose und wird mit „Plan“ oder „Absicht“ übersetzt. Es ist verfänglich, in diesem Zusammenhang vorschnell das Wort design zu gebrauchen, weil das, was wir in der Natur tatsächlich sehen und beobachten können, weder Pläne noch Absichten sind, sondern höchstens – das ist dann eben die Frage – das Produkt davon: Wir sehen Teleologie, zielgerichtete Abläufe und eine zweckmäßige und auch schöne Ordnung der Natur. Ob das Wirkprinzip dieser Naturprozesse tatsächlich „Absichten“ und „intelligente Pläne“ sind, das können wir nicht beobachten. Was wir in der Natur „sehen“, ist nicht design, sondern etwas, was auf design beruhen muss.5 Ich werde weiter unten zeigen, dass dies in der Tat zu einem „Gottesbeweis“ führt, nicht aber zur Annahme, dass es intelligente, intentional wirkende Kräfte innerhalb der Natur gibt oder von außen kommende göttliche Eingriffe in Naturprozesse (abgesehen vom Fall des Wunders, aber das ist hier ja nicht gemeint), sondern nur dass die Natur als Ganze auf einem (göttlichen) design beruhen muss. Aber diese Einsicht trägt selbst nichts zur Erklärung von Naturprozessen bei. ID hingegen sucht eine Intelligenz, welche selbst zur immanenten Erklärung von Naturprozessen beiträgt und naturwissenschaftliche Fragen beantwortet. Seit Kant nannte man diese Art der Argumentation „faule Vernunft“, weil sie wissenschaftliche Vernunft ist, die, wo sie nicht mehr weiterkommt, auf Gott rekurriert.

Eine Natur ohne Götter: Zu einer Aussage von Will Provine

Vertreter der modernen Naturwissenschaften drücken sich oft in einer Weise aus, die auf Verfechter einer an der klassischen Metaphysik orientierten Naturphilosophie und natürlichen Theologie – zu denen auch ich gehöre – provozierend wirkt und unakzeptabel erscheint. Ein Beispiel ist etwa die nachfolgende Aussage des Biologen William B. Provine:

„Die moderne Wissenschaft impliziert unmittelbar, dass die Welt strikt nach mechanischen Prinzipien organisiert ist. Es gibt überhaupt keine zielgerichteten Prinzipien in der Natur. Es gibt keine Götter und keine rational feststellbaren, entwerfenden und planenden Kräfte.“6

Es ist durchaus möglich, dass Will Provine – persönlich ein Atheist – meint, mit dieser Aussage sei die Idee eines Schöpfergottes bereits erledigt.7 Doch das sagt er hier nicht. Als Aussage eines Naturwissenschafters halte ich diese Worte für durchaus korrekt. Als Thomist muss ich sogar sagen: Provines Aussage ist geradezu die erste Prämisse für einen Gottesbeweis und entspricht genau der Ausgangsbasis von Thomas’ Quinta via. Denn Provine sagt ja, es gebe „in der Natur … keine Götter und keine rational feststellbaren, entwerfenden und planenden Kräfte.“ In keiner Weise leugnet er, dass die Natur so aussieht, als ob es einen Plan gäbe.8 Das ist ja gerade der Grund, weshalb wir auf eine planende und intelligente Ursache außerhalb der Natur schließen müssen: denn naturgesetzliche Ordnung, Schönheit und Zweckmäßigkeit sind ein evidentes Faktum. (Nochmals: Neodarwinisten brauchen dieses Faktum nicht zu leugnen. Sie sagen nur, die Entwicklung dazu verlaufe in einem Prozess, in dem keine zielgerichtet-gestaltenden und planerischen Naturkräfte am Werk waren; und überhaupt erklärt heutige Naturwissenschaft die Teleologie aller Naturprozesse ohne Zuhilfenahme von Finalursachen, nämlich wirkursächlich-mechanistisch). Provine spricht nur davon, wie die Welt „organisiert“ ist; „strikt nach mechanischen Prinzipien“; nicht aber über den Ursprung dieser „Organisation“ und ihrer Prinzipien (es ist übrigens auch im Falle Provines fraglich, ob er in seiner Aussage überhaupt spezifisch die Evolutionstheorie und nicht die moderner Naturwissenschaft generell meint). Eine Analogie: Will jemand, der das Funktionieren eines Computers „strikt nach mechanischen Prinzipien“ erklärt und sagt, das sei alles, was zum Verständnis seines Funktionierens nötig sei, damit leugnen, dass diese Struktur selbst von der Intelligenz eines Ingenieurs entworfen und entwickelt wurde?

Ich denke also nicht, dass Will Provine – und andere Naturwissenschaftler – leugnen möchte, dass die Natur ein Bild von Ordnung vermittelt; dass Naturprozesse tatsächlich zielgerichtet, sinnvoll, gesetzmäßig verlaufen; dass es in der Natur, mit ihren Gesetzen und der Vielfalt ihrer Erscheinungen, Harmonien, Schönheit gibt. Dieses alles ist es ja gerade, was „Natur“ ausmacht, was zur wissenschaftlichen Forschung antreibt und was die Wissenschaft mit der Formulierung von Naturgesetzen erklärt (auch die neodarwinistische Evolutionslehre ist, wenn sie denn stimmt, ein solches Naturgesetz, ein Gesetz der Entwicklung des Lebens, auf der Ebene der empirisch feststellbaren „Wirkmechanismen“). Die in der Natur existierenden Ziel- oder Zweckursachen sind evident, sie liegen offen zu Tage; aber sie sind eben nicht Teil des von den empirischen Naturwissenschafteentdeckten „Mechanismus“ der Natur, sondern gehören einer anderen Erkenntnisebene an, die uns aber zuweilen auch in die Irre führt (wie etwa im Falle des Erdumlaufs um die Sonne). Provines Aussage verstehe ich demnach als eine Charakterisierung des Weltbildes der modernen Naturwissenschaften, im Gegensatz etwa zu einem animistischen Weltbild. Provine spricht von der „Entzauberung der Welt“ im Sinne Max Webers – so kann man es zumindest verstehen; denn das, und nicht mehr, ist es, was in dem oben angeführten Zitat explizit gesagt ist.

Die beiden entscheidenden – aber auseinander zu haltenden – Fragen sind meiner Ansicht nach deshalb, erstens, wie Natur „funktioniert“, und, zweitens, woher sie als Ganze und woher ihr „Funktionieren“ kommen (das Faktum ihrer Existenz und das Faktum ihrer Zweckmäßigkeit und inneren Ordnung sind hingegen nicht etwas, wonach wir fragen, sondern der Ausgangspunkt allen wissenschaftlichen Fragens: Sie sind Primärerfahrung, Evidenz, die zum Staunen und zum wissenschaftlichen Fragen, dem Fragen nach den Ursachen, antreibt). Die moderne Naturwissenschaft sagt uns, zur Erklärung „wie das funktioniert“, könne man nicht auf beobachtbare Teleologie selbst rekurrieren: Die Zweckursachen haben keinen naturwissenschaftlichen Erklärungswert; sie sind nicht Wirkursachen, sondern eher das „Worum“, um dessentwillen eine Wirkursache tätig wird. „Worum-willen“ hingegen hat etwas mit Intentionalität und diese wiederum hat etwas mit Intelligenz zu tun. Doch genau dies – Intentionalität und Intelligenz, „design“ – findet sich nicht in der Natur.

„Intentionalität“ ist nicht dasselbe wie „Teleologie“, „Zweckmäßigkeit“, „Zielgerichtetheit“ von Abläufen, Strukturen usw.: Letztere ist sehr wohl in der Natur beobachtbar; Intentionalität hingegen gibt es in der Natur nur beim Menschen, insofern er ein Naturwesen ist, aber als ein solches Intelligenz besitzt und sein Tun deshalb intentional strukturiert; wir nennen dies „Handeln“. Die bloße Natur hingegen „handelt“ nicht. Auch Tiere handeln nicht: non agunt sed magis aguntur9, sagt Thomas deshalb, für den der menschliche intellectus im Menschen zwar „Natur“ ist, aber nicht aus der Natur stammt; wie er im Kommentar zum Johannesevangelium sagt, ist der menschliche Intellekt ab extrinseco in die Natur gekommen, denn er ist eine gewisse Teilhabe an der Natur Gottes, d. h. am göttlichen Intellekt. Es wäre deshalb ein Fehler, Naturerscheinungen, die auf planvolle Absicht hindeuten, aufgrund von Handlungen (Eingriffe einer Intelligenz) erklären zu wollen, weil man dadurch entweder, falls solche Eingriffe als übernatürlich gedacht werden, die Natur ihrer ontologischen Konsistenz beraubt oder aber Natur anthropomorph zu einem intentionalen Agens umdeutet oder gar vergöttlicht.

In der Natur, so würde ich demnach argumentieren, gibt es also einerseits Zweckmäßigkeit und Ordnung, aber es gibt weder Intentionalität (design) noch Intelligenz. Die Verwechslung von Teleologie (zweckmäßige Ordnung, Zielgerichtetheit) und Intentionalität, von Zweck und Absicht, ist gerade Charakteristik einer „unaufgeklärten“ Naturauffassung, die Naturprozesse anthropomorph, nach dem Bilde menschlichen Handelns versteht.10 Die Natur, so wie sie sich heute dem Blick der Naturwissenschaften darbietet, ist wirkursächlich „organisiert“ (zur Vereinfachung lasse ich hier einmal die Material- und Formalursachen weg, denn diese gehören, wie auch das Sprechen über die Seele – sie ist ja „Form“ – wiederum einer anderen Reflexionsebene an), und entsprechende Erklärungen sind immer in einer gewissen Weise mechanistisch (natürlich nicht in der naiven Art, wie man das im 18. Jahrhundert meinte). Freilich sind auch Lebewesen „Natur“; Leben kann man nicht auf Mechanik reduzieren; alle Lebewesen (auch Pflanzen und Tiere) haben eine Seele, wenn auch keine Intelligenz. Aber die „Seele“ und damit auch „Leben als solches“ sind nicht Gegenstand der Naturwissenschaft. Zum naturwissenschaftlichen Verstehen vitaler organischer Prozesse kommt man ohne den Begriff der Seele aus; umso mehr bedarf man dazu des Verstehens biochemischer Zusammenhänge. Die Seele ist nicht Gegenstand der Biologie (der Naturwissenschaft) und kann von ihr weder festgestellt noch geleugnet werden. Die Biologie betrachtet Lebewesen nur als eine Art von corpus naturale, als Naturkörper. Deshalb brauchen wir ja auch, um festzustellen, ob ein Individuum eine Person ist, nicht zu wissen, ob es schon eine Geist-Seele besitzt, sondern nur, dass es der biologischen Spezies Homo sapiens angehört; daraus dann können wir – metaphysisch – schließen, dass es eine Person ist und deshalb natürlich auch eine Geist-Seele „besitzt“; denn die Seele ist ja definitionsgemäß „Form“, welche ein Seiendes eben zu dem macht, was es seiner Spezies gemäß ist.11

Die „Quinta via“ des Thomas von Aquin: Zweckhaftigkeit und Ordnung ohne Intelligenz

Ich komme zurück zum wesentlichen Punkt: In der bloßen „Natur“ gibt es zwar Zweckmäßigkeit, aber weder Intentionalität noch Intelligenz und deshalb können wir die immanente Struktur von Naturprozessen – so teleologisch (zweckmäßig, zielgerichtet) sie evidenterweise in der Außenperspektive auch ablaufen – nicht mit Rekurs auf intentional wirkende und intelligente Ursachen erklären. Dies ist genau in der Quinta via zum Ausdruck gebracht, ja es ist der Ausgangspunkt dafür, dass der „Gottesbeweis“ möglich wird. Ich zitiere:

„Der fünfte Weg geht aus von der Weltordnung. Wir stellen fest, dass unter den Dingen manche, die keine Erkenntnis haben, wie z. B. die Naturkörper, dennoch auf ein festes Ziel hin tätig sind. Das zeigt sich darin, dass sie immer oder doch in der Regel in der gleichen Weise tätig sind und stets das Beste erreichen. Das beweist aber, dass sie nicht zufällig, sondern irgendwie absichtlich ihr Ziel erreichen. Die vernunftlosen Wesen sind aber nur insofern absichtlich, d. h. auf ein Ziel hin tätig, als sie von einem erkennenden geistigen Wesen auf ein Ziel hingeordnet sind, wie der Pfeil vom Schützen. Es muss also ein geistig-erkennendes Wesen geben, von dem alle Naturdinge auf ihr Ziel hingeordnet werden: und dieses nennen wir ‚Gott’.“12

Der springende Punkt scheint mir folgender zu sein: Da die Natur selbst nicht „erkennt”, und deshalb Naturprozesse sich auch selbst nicht zielgerichtet lenken können, muss diese Lenkung auf ein „aliquid intelligens“ außerhalb der Natur zurückgeführt werden, in dem sich auch die intentio findet; und diese außerhalb der Natur situierte Intelligenz – im Vergleich ist es der Pfeilschütze – nennen wir „Gott“.

„Das beweist aber, dass sie nicht zufällig, sondern irgendwie absichtlich ihr Ziel erreichen“ (Patet quod non a casu, sed ex intentione perveniunt ad finem): Was auch immer Thomas’ Auffassung der inneren Struktur von Naturprozessen und ihrer Gesetzlichkeiten war (seine Auffassungen darüber sind im vorliegenden Zusammenhang irrelevant), so schließt das keinesfalls aus, dass innerhalb der Natur auch der Zufall eine konstitutive Rolle spielen kann (und zwar genau in dem Sinne, wie der Physiker Stephen M. Barr das glänzend erklärt hat: als Nicht-Koordiniertheit von in sich selbst kausal bestimmten Ereignissen, aristotelisch: als concursus causarum, also nicht als „Ursachenlosigkeit”, sondern als Zusammentreffen von Ursache-Wirkungs-Reihen, wobei nur das Zusammentreffen als solches, das wir eben dann „zufällig“ nennen, selbst keine Ursache in der Natur besitzt13). Was Thomas sagt, ist lediglich: Gerade weil innerhalb der Natur keine intelligente und intentionale wirkende Ursache von regelgemäß und teleologisch ablaufenden Prozessen zu finden ist, muss auf eine transzendente intelligente Ursache geschlossen werden; diese eben ist es, was wir mit „Gott” meinen.

Es scheint mir wichtig zu beachten, dass auch in einem Universum, in dem der Zufall eine Rolle spielt, Gottes Freiheit einzugreifen in keiner Weise geschmälert wird. Aber auch wenn er „eingreift“, so würden, aus unserer Perspektive, die entsprechenden Abläufe immer noch den Charakter des Zufalls haben. Gegeben der Fall, Hans und Peter treffen sich zufällig in Wien, so hat sowohl Hansens als auch Peters Zu-diesem-Zeitpunkt-In-Wien-Sein je eine Ursache, etwa die Gründe, die sie bewogen, die Reise zu unternehmen (und auch eine von Gott stammende Inspiration könnte dabei ursächlich mitgewirkt haben). Aber das Zusammentreffen der beiden hat als solches und innerhalb der Natur keine Ursache: Es gibt keine identifizierbare Ursache, die sich auf das Handeln beider, das Handeln von Hans und von Peter, bezieht und dieses Zusammentreffen verursacht hat. Zu sagen, das Zusammentreffen verdanke sich dem Zufall, ist also durchaus angemessen. Dennoch gibt es, von Gott aus gesehen, eine Menge von Möglichkeiten, dieses Zusammentreffen zu steuern und so könnte er dann auch Ursache des Zusammentreffens sein, aber eine Ursache, die selbst nicht Bestandteil des beobachtbaren und natürlichen Kausalzusammenhangs ist. Von „unten her gesehen“, aus der Perspektive der Natur selbst, bliebe das Zusammentreffen also dennoch ein Zufall. Der Rekurs auf eine eventuelle göttliche Lenkung aller Naturprozesse oder sogar punktuelle Eingriffe in sie hat also keinerlei wissenschaftlichen Erklärungswert, relativiert oder falsifiziert auch nicht irgendwelche wissenschaftlichen Erklärungen auf einem „tieferen“ Niveau, wie etwa Erklärungen auf Grund von Naturursachen, und auch nicht den dabei eventuell mitspielenden Zufall. Damit will ich nicht sagen, Gott habe die Evolution auf diese Weise – durch die planvolle Verursachung von Zufällen – gelenkt, sondern nur: Falls es sich so verhielte – und ausschließen kann man es nicht, aber auch nicht beweisen –, dann wäre die neodarwinistische Theorie der Evolution immer noch kompatibel mit der Existenz eines planenden Schöpfergottes.14 (Über das zusätzliche Problem, wie zunehmende Komplexität rein evolutionär erklärt werden kann, werde ich später eingehen; hier ging es zunächst nur um die Frage des Zufalls.)

Nun bezieht sich die Quinta via natürlich nicht auf die Evolution (auf die Entwicklung der Natur und ihrer Ordnung), sondern auf die Naturordnung selbst, wie sie jetzt ist und damit auf das „wie” des Funktionierens von Natur. Dennoch, es sei wiederholt, ist wichtig zu beachten: Der Satz „unde patet quod non a casu, sed ex intentione perveniunt ad finem” („Das beweist aber, dass sie nicht zufällig, sondern irgendwie absichtlich ihr Ziel erreichen“) bedeutet nicht, dass in Naturprozessen nicht auch der Zufall eine Rolle spielen könnte, genau so wenig wie dies bedeutet, sie könnten nicht mechanistisch erklärt werden. Thomas sagt nur: Wir können beobachten, dass es in der Natur zweckmäßig vor sich geht; folglich muss hier eine intelligente Ursache am Werk sein, welche die Natur als Ganze koordiniert. Er sagt nichts darüber, wie die Natur funktioniert, sondern nur woher das „Funktionieren“ der – offensichtlich teleologisch strukturierten – Natur letztlich kommen muss, worin es seine letzte Grundlage haben muss: in einer intelligenten Ursache. Diese ist eben „Gott“ und selbst nicht Teil der Natur. Dieser greift keineswegs in Naturprozesse ein, damit sie „ordnungsgemäß“ ablaufen. Letzteres besorgt gerade die Natur, die aber selbst keine intelligente Art von Ursächlichkeit in sich trägt. Zu erkennen, wie sie das tut – wie Ordnung ohne Intentionaliät, planvolle Absichten und Intelligenz entsteht –, ist Sache der Naturwissenschaft und weder der Philosophie noch der Theologie, und es ist auch nicht Gegenstand der Offenbarung (die uns nicht etwas über die Natur, sondern etwas über ihren Schöpfer mitteilen will).

Damit können wir aber die Argumentationsstruktur der Quinta via auch analog auf die Evolution der Natur (oder des Lebens) anwenden: Die Evolutionslehre beantwortet die Frage nach dem „Wie“, aber es bleibt die Frage nach dem „Woher“, das heißt die Frage, wie es denn möglich ist, dass sich aus einem un-intelligenten, nicht-intentionalen Prozess, eine zweckmäßige Ordnung entwickelt: Die Evolutionstheorie beschreibt den Pfeil, seinen Flug und seine Flugrichtung, sagt aber nichts über den Schützen und erteilt deshalb auch keine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung dieses Prozesses. (Die Behauptung, durch die Klärung des „Wie“ sei die Frage nach dem Ursprung erledigt und überflüssig geworden, wäre dann genau die falsche szientistische Schlussfolgerung, die abzulehnen ist. Man sollte sich m. E. darauf beschränken, diese Schlussfolgerung zu kritisieren.) Der Fehler von ID scheint mir darin zu liegen, innerhalb des Fragehorizonts der Naturwissenschaft selbst eine Intelligenz zu suchen, die das „Wie“ gewisser Naturprozesse (z. B. das Entstehen so genannter „irreduzibler Komplexität“15) begreift, dieses „Wie“ im Rekurs auf übernatürliche Ursachen zu erklären, dies als Wissenschaft auszugeben und damit Gott als ursächlich wirkende Intelligenz sowohl in die Natur als auch in die Naturwissenschaft hineinzuschmuggeln – ein Unterfangen, gegen das sich, m. E. zu Recht, die Rage der Naturwissenschaftler richtet und das – auch wenn es gegenwärtig oft sogar von Katholiken vertreten wird – unschwer als variierte Neuauflage der biblizistisch-kreationistischen Agenda zu erkennen ist.16

Natur als Kunstwerk Gottes

Thomas vergleicht die Beziehung zwischen Schöpfer und Natur zuweilen mit derjenigen zwischen Künstler und Kunstwerk (es handelt allerdings sich um eine bloße Analogie, die Übereinstimmung ist lediglich eine teilweise). Nehmen wir noch einmal die Aussage Provines: Es gebe in der Natur „überhaupt keine zielgerichteten Prinzipien“, und es gebe „keine Götter und keine rational feststellbaren, entwerfenden und planenden Kräfte“ in ihr. Stellen wir uns etwa Rodins Penseur oder Michelangelos David vor: Die Skulpturen besitzen Form, Gestalt, Schönheit usw. Sie sind nicht einfach eine Masse von Metall oder ein Block Marmor. Nun gibt es aber in diesen Kunstwerken kein einziges „zielgerichtetes Prinzip“, keine „rational feststellbare, entwerfende und planende Kraft“, die den Marmorblock zu dieser bestimmten Skulptur formt: Die Naturprinzipien, welche die Gestalt des Penseur und des David hervorbringen, müssen anders gedacht werden (wohlverstanden: ich beziehe mich hier nur auf die Strukturprinzipien, die der Statue als Naturgegenstand – Metallguss, Marmorblock – immanent sind). Wollten wir für die innere Strukturierung und auch für das Entstehen der Gestalten des Penseur und des David aus dem Metall oder dem Marmor eine naturwissenschaftliche Erklärung geben, so wäre diese irgendwie „mechanistisch“ (ich denke an den immanenten Prozess der Umformung des Materials). Die Aussage Provines, bezogen auf diese Kunstwerke, wäre also vollkommen korrekt, alles andere wäre geradezu Aberglauben, denn es gibt ja nichts in der Statue, das sie zu einem Ebenbild eines „Denkers“ oder „Davids“ formen würde. Die Aussage impliziert jedoch in keiner Weise etwa die Leugnung der Existenz eines Künstlers, der diese Skulpturen in seinem Geiste entworfen und geschaffen, den Marmorblock genau in diesem Sinne und zu diesem Zweck geformt hat, im Gegenteil, und gerade das ist ja der Witz der Sache: Sie provoziert diese Frage.

Man kann nicht einwenden, Lebewesen würden doch gerade in Zeugungsprozessen entstehen und dann von selber wachsen und sich ausbilden, und auch das sei „Natur“ und hier seien deshalb naturimmanente, zweckmäßig formend-gestaltende Kräfte am Werk. Das ist natürlich in der Tat so, aber kein Einwand, denn der Naturprozess des Gezeugtwerdens und des Wachstums – der Entwicklung eines Lebewesens also – kann wiederum rein „mechanistisch“ – biochemisch – erklärt werden: Moderne Genetik und Embryologie implizieren auch keine Leugnung der Existenz eines gestaltenden Lebensprinzips, der „Seele“. Sie bewegen sich auf einer anderen Ebene. Die Seele erscheint erst in der philosophischen Reflexion auf das Phänomen Leben, das allein mechanistisch nicht verstanden werden kann (ich erinnere an die Diltheysche Unterscheidung von „Erklären“ und „Verstehen“, auch wenn ich als Thomist auch das philosophisch-metaphysische „Verstehen“ durchaus als eine, wenn auch vom naturwissenschaftlichen Erklären verschiedene, Art von „Erklären“ betrachte). Was auch immer wir über die Seele wissen mögen: Wir wissen dadurch nichts über die Abläufe und Mechanismen des Lebens und über das Funktionieren von lebenden Organismen; wir wissen allein, dass es ein solches Funktionieren ohne Seele, d. h. ohne einheitliches, formgebendes Lebensprinzip, nicht geben könnte. Die Lehre von der Seele hat ihren Ort nicht im Unterricht der Naturwissenschaft. Fächerkanonisch gehört sie zum Philosophieunterricht. Sie ist allein metaphysischer Erkenntnis zugänglich und hat keinen naturwissenschaftlichen Erklärungswert. Solche Differenzierungen musste die Moderne ja erst mühsam erlernen. Natürlich gibt es auch unter den heutigen Naturwissenschaftlern, die ihre Wissenschaft als die Basis von Atheismus und Materialismus verstehen, unzählige, die die Geschichte anders lesen und die Lektion nicht verstanden haben. Aber auch unter den Gläubigen und Frommen existieren diejenigen zuhauf, denen solche Differenzierungen fremd sind.

Die Analogie von Kunst und Natur ist also keineswegs abwegig. Sie wird von Thomas, in seinem Kommentar zur Aristotelischen Physik, bezüglich des göttlichen Schöpfungshandelns, ausdrücklich benutzt. Thomas sagt in seinem Physikkommentar kurz und bündig:

„Die Natur ist nichts anderes als die den Dingen eingestiftete Vernunft einer Art Kunst (ratio cuiusdam artis17), nämlich der göttlichen, durch welche diese Dinge auf ein bestimmtes Ziel hingeordnet werden: so wie wenn ein Schiffsbauer dem Holz die Fähigkeit verleihen könnte, aus sich selbst die Gestalt eines Schiffes hervorzubringen“.18

Natürlich ist Gott nicht ein Künstler nach Menschenart; es handelt sich um eine „Art Kunst“ (quaedam ars). „Natur“ ist im Unterschied zu „Kunst“ (oder „Technik“) gerade ein intrinsisches Prinzip. Die Kunst imitiert ja die Natur, und nicht umgekehrt. Kurz vor dem obigen Passus sagt Thomas in seinem Physikkommentar:

„… die Natur scheint sich nämlich in nichts anderem von der Kunst zu unterscheiden als dadurch, dass die Natur ein innerliches Prinzip ist, die Kunst hingegen ein äußerliches Prinzip. Falls nämlich die Kunst des Schiffsbaus dem Holz innerlich wäre, dann würden Schiffe auf natürliche Weise entstehen, so wie sie jetzt durch Kunst produziert werden.”19

Die „Kunst“ ist selbst kein Bestandteil des Kunstwerkes, wohl aber wird die Natur erschaffende ars divina – d. h. ihre „ratio“ – zum Bestandteil der Natur selbst. Deshalb ist auch der Künstler (oder der „Pfeilschütze“) der Natur gewissermaßen immanent – aber eben nicht, und das ist die Pointe, als intelligente Ursache (eine solche war es ja, welche die Natur als Ganze geschaffen hat), sondern eben als „Natur“ („ratio artis indita rebus“).

Der entscheidende Punkt scheint also folgender zu sein: Die Natur verhält sich zweckmäßig (als ob sie planvoll und intelligent handelte); aber da in der Natur selbst keine intelligenten und intentional wirkenden Ursachen auszumachen sind, muss diese intelligente Ursache außerhalb der Natur liegen. So wie das Kunstwerk – der behauene Marmor – zur Frage führt „Wer hat das gemacht?” führt die Erfahrung von Zweckmäßigkeit, Ordnung und Schönheit der Natur zur Frage: „Woher kommt diese Zweckmäßigkeit, Ordnung und Schönheit”? Wie gesagt, und das ist entscheidend: Das ist keine Frage, die die Evolutionstheorie beantworten kann; letztere verschärft diese Frage lediglich (ich komme darauf zurück). Die Evolutionstheorie kann nicht die Frage nach dem „Woher“ von Zweckmäßigkeit, Ordnung und Schönheit der Natur beantworten, sondern nur die Frage, welches die immanenten Naturprinzipien – die in der Natur real und empirisch feststellbar existierenden und wirkenden Ursachen – der Entwicklung von Natur sind. Deshalb kann sie auch nicht behaupten, die Evolutionstheorie beweise, dass es keinen planenden Gott gibt, dessen Geist die Ursache der Natur und ihrer Evolution ist.

Was von der Natur generell gilt, gilt auch von den entsprechenden Entwicklungsprinzipien der Natur: cognitione carent („sie besitzen keine Erkenntnis“), es handelt sich nicht um intelligente Ursachen, denen ein design inhärent wäre, es gibt keine Intentionalität, keine „planende“ Ursache oder absichtsvolles Tun innerhalb der Natur, und doch wirken alle gesetzmäßigen Naturkräfte offenbar zweckmäßig: operantur propter finem. Das wiederum zu reflektieren und davon die Ursache zu suchen, ist jedoch nicht Sache der Naturwissenschaft, sondern der Philosophie und Theologie.

Die Frage der Evolution – der Entwicklung des Lebens –, als deren „Endprodukt” der Mensch erscheint, führt also effektiv zur Frage: „Wer hat dies so geplant?” Die Frage nach dem design und dem designer ist sinnvoll, aber sie darf keinesfalls als naturwissenschaftliche (biologische, biochemische, physikalische usw.) Frage verstanden werden und der intelligent designer darf nicht – wie es bei ID der Fall ist – zur Erklärung einzelner Naturerscheinungen und -prozesse herangezogen werden, sondern lediglich zur ursächlichen Erklärung von „Natur“ überhaupt. Wenn Naturwissenschaftler sich solche Fragen stellen, dann tun sie das nicht als Naturwissenschaftler und innerhalb der Naturwissenschaft – sie tun es also nicht, um naturwissenschaftliche Fragen zu beantworten –, sondern weil sie begonnen haben, Philosophie zu betreiben und eine Antwort auf philosophische Fragen zu geben: Antworten, die jedoch selbst wiederum nichts zur Beantwortung naturwissenschaftlicher Fragen beitragen (es sei denn im Sinne, dass sie – wie dies beispielsweise Stanley L. Jaki in seinem Buch The Road of Science and the Ways to God20 sehr schön zeigt – zur naturwissenschaftlichen Forschung motivieren können; etwa so wie Kopernikus aufgrund seiner christlichen Überzeugung von der Geschaffenheit und damit der Intelligibilität des Universums motiviert wurde, den Phänomenismus der ptolemäischen Astronomie zu überwinden und, anstatt nur „die Erscheinungen zu retten“, nach der wahren Struktur des Sonnensystems und der wirklichen Natur der Planetenbewegungen zu forschen21).

Neodarwinistische Evolution: Nicht zielgerichtet, aber dennoch ordnungsschaffend

Die Evolutionstheoretiker – die Naturwissenschaft – sagen uns also zu Recht (um wieder Provine zu zitieren): Innerhalb der Natur – und das heißt: naturwissenschaftlich feststellbar – gibt es „überhaupt keine zielgerichteten Prinzipien”; innerhalb der Natur gibt es „keine Götter und keine rational feststellbaren, entwerfenden und planenden Kräfte”. Hier beginnt nun die zweite Frage: Ist eine naturwissenschaftliche Theorie, die das natur-immanente „Woher” mit einer Kombination von Zufallsmutationen und natürliche Selektion erklärt vereinbar mit der Idee, dass dieser Prozess als ganzer wiederum auf einer ihm transzendenten, schöpferischen intelligenten, planenden und voraussehenden Ursache beruht, oder gibt es da einen Widerspruch?

Im Umkreis dieser Frage häufen sich, meiner Ansicht nach, die Unklarheiten und Zweideutigkeiten vieler kritischer Einwände gegen die neodarwinistische Evolutionstheorie (als naturwissenschaftliche Theorie). Oft wird nämlich nicht nur die Kompatibilität von neodarwinistischer Evolutionstheorie und sowohl philosophischer wie auch christlicher Schöpfungslehre verneint, sondern – aus philosophischen und theologischen Gründen – diese Theorie auch direkt als naturwissenschaftliche Theorie angegriffen.22

Vor allem wird dabei die evolutionstheoretische Idee, dass die Ordnung der Natur auf reinem Zufall beruhen sollte, abgelehnt, sowie die damit verbundene Idee einer (natürlichen) Selektion jener Individuen, die besser zum Überleben geeignet sind (also „fitness“ als Selektionskriterium). Meiner Ansicht nach greift jedoch eine solche Kritik nicht, ja sie erweist sich als widersprüchlich: Wenn der Grund zum Überleben war, dass das entsprechende Lebewesen durch seine „Fitness“ im Überlebenskampf einen Selektionsvorteil hatte, dann war sein Überleben eben gerade kein reiner Zufallstreffer, sondern hatte einen genau angebbaren Grund.23 Die Evolutionstheorie operiert ja nicht nur mit Zufall, sondern auch mit Notwendigkeiten und Sinnstrukturen. Die natürliche Selektion ist ein strukturierter, sinnvoller Vorgang, ein typischer „Wirkmechanismus“, zu dessen Begriff es gehört, Teil einer „Aufwärtsentwicklung“ und „Verbesserung“, eine Art Lernprozess der Natur zu sein (es geht hier um Adaptation, funktionale Differenzierung, Zunahmen von Information durch Interaktion mit der Umwelt, u. ä.), wobei jedoch auch Fehler vorkommen, die aber selbst wiederum Teil erfolgreicher Überlebensstrategie werden. Ja, gerade „Überleben“ – bzw. „Leben“ überhaupt – ist ja eine Sinnstruktur durchaus teleologischer Art.24 In Prozessen natürlicher Selektion gibt es offenbar eine Richtung „nach oben“, zunehmende Informationsfülle und Komplexität bei zunehmender Koordination. Ich halte deshalb die Charakterisierung der neodarwinistischen Evolutionstheorie als Reduktion der Artenbildung auf reine Zufallsprozesse für unzutreffend. „Natürliche Selektion“ und ihre Folgen sind keine blinden Zufallsprozesse, so wenig wie die (auch statistisch interpretierbaren) Gesetze der Mechanik, der Quantentheorie oder der Atomphysik es sind.25

Zweitens jedoch sprechen die Vertreter der neodarwinistischen Evolutionstheorie – zumindest die Biologen unter ihnen und insofern sie als Biologen sprechen – nicht von der Entstehung, sondern nur von der Entwicklung des Lebens (der Differenzierung der Arten); diese vollziehe sich auf Grund von genetischen Zufallsmutationen und natürlicher Selektion. Dies wird oft bereits als evolutionistische Ideologie bezeichnet und nicht mehr als Wissenschaft anerkannt. Dagegen ist zu sagen: Es müsste hier genauer zwischen „Entwicklung“ und „Schöpfung“ unterschieden werden. Tut man das nicht, so kommt man leicht auf die Idee: Hat man einmal die Evolution des Lebens und überhaupt die Natur mechanistisch erklärt, dann braucht man keinen Schöpfer mehr. Genau dieser Fehlschluss wird auch von Naturwissenschaftlern vollzogen, die aus ihren wissenschaftlichen Theorien atheistische Folgerungen ziehen. Letztere befinden sich hier allerdings im Vorteil, weil ihre wissenschaftlichen Theorien ein hohes Maß an empirisch-wissenschaftlicher Gültigkeit beanspruchen können. Dem können die Verfechter eines theistischen Weltbildes nichts Gleichwertiges entgegensetzen.

Aus diesem Grund halte ich folgende Aussage aus Kardinal Schönborns Artikel in der „New York Times“ für problematisch:

„Evolution in the sense of common ancestry might be true, but evolution in the neo-Darwinian sense – an unguided, unplanned process of random variation and natural selection – is not. Any system of thought that denies or seeks to explain away the overwhelming evidence for design in biology is ideology, not science.“26

Dies liest sich – auch wenn es vielleicht nicht so gemeint war – als frontaler Angriff auf die neodarwinistische Evolutionstheorie, und zwar auf diese Theorie als naturwissenschaftliche Theorie. Sie wird als Ideologie bezeichnet, weil sie die overwhelming evidence for design in biology leugne.

Problematisch erscheint mir die Aussage nicht nur, weil hier von evidence for design die Rede ist. Ich habe bereits oben darauf hingewiesen, dass es keine Evidenz für design – d. h. Intentionalität – in der Natur gibt. Wir können in der Natur keine absichtsvollen Pläne „sehen“, nur Teleologie feststellen: Allein Zweckmäßigkeiten, Zielgerichtetheit, Ordnung usw. sind in der Natur beobachtbar, nicht „Pläne“ und „Absichten“. Teleologisch beschreibbare Strukturen auf Absichten, Intentionen, Intelligenz zurückzuführen, entspringt bereits einer weitergehenden Reflexion über das Beobachtbare. Diese Reflexion ist aber, wie ich es sehe, nicht Sache der Naturwissenschaft.

Obige Aussage scheint mir jedoch vor allem deshalb problematisch, weil im ersten und im zweiten Satz von zwei verschiedenen Dingen gesprochen wird: Im ersten Satz ist vom Entwicklungsprozess des Lebens die Rede; im zweiten vom Leben selbst bzw. der biologischen Naturordnung, wie sie jetzt existiert und der unmittelbaren Beobachtung und wissenschaftlichen Erfahrung zugänglich ist. „The overwhelming evidence for design in biology“ – wobei es m. E. richtigerweise nicht design, sondern nur „Teleologie“ heißen sollte – kann sich allein auf Letzteres, auf die jetzt erfahrbare Naturordnung beziehen. Für den Entwicklungsprozess des Lebens gibt es eine solche Evidenz natürlich nicht, denn wir können diesen Prozess ja nicht unmittelbar beobachten, sondern nur indirekt, vermittels paläontologischen Befunden; ja, wir kennen diesen Entwicklungsprozess nur in der Optik der Evolutionstheorie selbst. Und diese sagt uns klipp und klar: Es gibt zwar eine Entwicklung von niederen Stufen des Lebens zu höheren – also eine Zielrichtung –, aber keine intentionalen Zusammenhänge.27 Was man „sieht“ – bzw. was man mit empirischen Methoden belegen kann – sind nur Zufallsmutationen und natürliche Selektion, deren Erklärungswert aber ausreichend groß ist, um den Prozess plausibel zu machen. (Die Unvollkommenheit der Theorie ist kein Argument gegen sie; praktisch alle heute gültigen naturwissenschaftlichen Theorien waren zu Beginn unvollständig und konnten vieles nicht erklären, denken wir nur an den kopernikanischen Heliozentrismus. Die entscheidende Frage ist, ob sie sich nach wissenschaftlichen Kriterien bewähren, die Forschung voranbringen, oder ob sie falsifiziert und ad acta gelegt werden; ID kann die Evolutionstheorie nicht falsifizieren, da ID nicht mit empirischen Argumenten arbeitet; ID weist, wenn überhaupt, nur auf Unvollständigkeiten und Lücken der Evolutionstheorie hin – und schließt daraus auf den Eingriff einer schöpferischen, übernatürlichen Intelligenz. Letzteres halte ich für wissenschaftlichen Humbug.)

Kompatibilität von Evolution und Schöpfung

Mit dem Gesagten sind wir natürlich wieder genau beim Ausgangspunkt der Quinta via angelangt. Es war ja gerade der Witz dieses „Gottesbeweises“, davon auszugehen, in der Natur teleologische Prozesse ohne Intentionalität (ohne Absicht oder Intelligenz) festzustellen. Deshalb würde ich, anstatt die neodarwinistische Evolutionstheorie anzugreifen und als Ideologie zu brandmarken, folgendermaßen argumentieren: Gerade, weil wir aufgrund der Evolutionstheorie heute annehmen dürfen, dass die Evolution des Lebens bis hin zum Menschen ein Prozess war, der ohne immanente Intelligenz und Intentionalität – also immanent, d. h. was die natürlichen ursächlichen Zusammenhänge betrifft, „planlos“ und unkoordiniert (at random) – verlief, müssen wir erneut und mehr noch als früher auf eine diesem Prozess transzendente Ursache schließen. Diese ist es, was wir mit „Gott“ bezeichnen.

Das wiederum heißt: Die Leugnung intelligenter, planender Ursachen – und damit von designinnerhalb der Natur impliziert in keiner Weise die Leugnung von Teleologie, genau so wenig wie – um das klassische Beispiel aufzugreifen – die Leugnung eines zielenden Schützen auf dem „Rücken“ des fliegenden Pfeils die Leugnung der Zielgerichtetheit des Pfeilflugs oder die rein mechanistische Erklärung des Funktionierens eines Computers die Leugnung von dessen Zweckhaftigkeit impliziert. (Natürlich ist die Realisierung der ars divina, die „göttliche Kunst“, mit der „Natur“ erschaffen wurde, ganz anders vorzustellen als menschliche Poiesis, Kunst und Technik. Besser gesagt, wir können sie uns überhaupt nicht vorstellen.)

Selbstverständlich gibt es theoretisch die Möglichkeit, dass wir einmal innerhalb der Natur irgendwelche empirisch feststellbare Ursachen – vielleicht gar ein im Hintergrund wirkendes „Raster“ oder ein Programm – entdecken werden, welche selbst wiederum den Prozess der natürlichen Selektion oder auch genetische Mutationen in eine bestimmte Richtung lenken und damit deren Bedeutung in einen weiteren Kontext einordnen und damit auch relativieren. Die gegenwärtige Evolutionstheorie kann eine solche Möglichkeit nicht ausschließen. Solches zu finden, wäre aber ausschließlich Aufgabe und Gegenstand empirischer Forschung. ID ist keine empirische Theorie und hat bisher keine Entdeckungen auf diesem Gebiet gemacht. Die Akzeptierung von ID würde die weitere wissenschaftliche Forschung abblocken, indem sie jetzt schon die Lösung aller ungeklärten Fragen im Hinweis auf den schöpferischen Eingriff Gottes deklariert.

Wie ich es sehe, spielt ID mit der Verwechslung von Teleologie und design, unterstellt also: Wo es zielgerichtete Prozesse und komplexe, sinnvolle Ordnung gibt, dort gibt es auch Intelligenz und design. Das ist aber falsch, denn es genügt – in der Logik der Quinta via – anzunehmen, dass solche Teleologie auf einer außerhalb der Natur situierten intelligenten Ursache beruht, einer Ursache, die nicht in die Naturprozesse selbst eingreift, sondern die Natur als Ganze konzipiert hat (im Sinne Thomas’: als „ratio artis divinae indita rebus“). Das bedeutet aber, dass man aus dieser rein philosophischen und theologischen Warte keinerlei Argumente mehr gegen die Evolutionstheorie als naturwissenschaftliche Theorie vorbringen kann und sich davor hüten sollte, sie als Ideologie zu bezeichnen. Sie ist, so denke ich, eine wohlfundierte, aber noch unvollständige, zudem falsifizierbare – und möglicherweise in Zukunft einmal falsifizierte –, zumindest aber wesentlich korrigierbare und ergänzbare wissenschaftliche Theorie.

Eine weitere Differenzierung, die mir wichtig erscheint: Neodarwinismus ist, um es zu wiederholen, eine Theorie der Evolution des Lebens, aber nicht der Entstehung von Leben überhaupt, und weniger noch eine solche der Entstehung des Kosmos. Natürlich gibt es Wissenschaftler, die versuchen das Evolutionsschema auf alle Bereiche der Natur – warum auch nicht? – oder, was wesentlich problematischer ist, auch auf die Gesellschaft anzuwenden. Schließlich sind da diejenigen, die unsinnigerweise und mit oft fanatischer Aggressivität daraus eine Weltanschauung machen (da gab es ja im 19. Jahrhundert schon Herbert Spencer und Haeckels Monistenbund)28. Aber das ist nicht „Neo-darwinismus“ und biologische „Evolutionstheorie“. Evolutionstheoretiker sind durchaus fähig, zwischen der „Evolution des Lebens“ und „Entstehung von Leben überhaupt“ zu unterscheiden, und sie sind imstande zuzugeben, dass Letzteres ungeklärt ist. So schreibt der Mikrobiologe Richard E. Lenski von der Michigan State University:

„Evolutionary biology provides a scientific framework for understanding the changes that have occurred since the first life forms arose on Earth several billion years ago. Biochemists, geologists, and physicists seek natural explanations for the origin of life on Earth. While progress has been made in this area, the origin of life remains an interesting, but unanswered, question.”29 (Hervorhebungen nicht im Original.)

Ähnlich verhält es sich mit der Frage nach einer intelligenten Ursache dieses Prozesses. In seiner Kritik von Michael J. Behe’s Verteidigung des intelligent design schreibt der Biologe Kenneth R. Miller (Brown University):

„If Behe wishes to suggest that the intricacies of nature, life, and the universe reveal a world of meaning and purpose consistent with a divine intelligence, his point is philosophical, not scientific. It is a philosophical point of view, incidentally, that I share. However, to support that view, one should not find it necessary to pretend that we know less than we really do about the evolution of living systems. In the final analysis, the biochemical hypothesis of intelligent design fails not because the scientific community is closed to it but rather for the most basic of reasons – because it is overwhelmingly contradicted by the scientific evidence.”30 (Hervorhebung nicht im Original).

Millers Position steht derjenigen des hl. Thomas näher, als die Position Behes. Ich denke, wir sollten die Schöpfungslehre sowohl philosophisch wie auch theologisch nicht dadurch verteidigen, indem wir in der Natur nach Intelligenz und design suchen und die Evolutionstheorie kritisieren – auch nicht in ihrer neodarwinistischen Form –, sondern nur, indem wir deren philosophisch und theologisch missbräuchliche Verwendung zurückweisen. Gerade die moderne Naturwissenschaft lehrt uns doch wieder, die Frage nach Gott richtig zu stellen: als eine der Natur transzendente schöpferische und ordnende Intelligenz, die keineswegs in Naturprozesse eingreift – wie ID das behauptet –, sondern das System der Naturprozesse – „ratio artis divinae indita rebus“, „Natur“ – als Ganzes geschaffen hat und in seinem Sein erhält.31

Ein Einwand, seine Entkräftung und die erneuerte Aktualität der „Quinta via“

Ich könnte mir an dieser Stelle einen Einwand gegen meine bisherige Argumentation vorstellen, der ungefähr so lauten würde: Die teleologisch strukturierte Naturordnung, die wir beobachten können und die Ausgangspunkt von Thomas’ Quinta via ist, ist doch in sich selbst und unmittelbar erfahrbar eine planvolle Struktur. Gott hat als Schöpfer dieser Natur, die ja sozusagen die der Schöpfung eingegebene, ihr also intrinsische, ars divina ist, gleichsam einen rational einsehbaren „Bauplan“ eingegeben. Die Naturwissenschaft entdeckt hier Gesetze, das heißt eben gerade eine intelligible Ordnung, und das ist es, woraus wir auf eine schöpferische göttliche Intelligenz schließen können. Gemäß der neodarwinistischen Evolutionstheorie gibt es aber in der Evolution des Lebens gerade keine solche intelligible Ordnung, keine immanente ars divina ist hier zu entdecken, und deshalb kann man auf Grund eines Kosmos, wie er von der Evolutionstheorie beschrieben wird, auch nicht mehr auf eine göttliche schöpferische Intelligenz schließen. Soweit der mögliche Einwand.

Der Einwand impliziert, dass nicht die atheistischen und materialistischen Schlussfolgerungen aus der Evolutionstheorie, sondern diese Theorie selbst mit dem Schöpfungsglauben unvereinbar ist. Doch halte ich den Einwand für unwirksam. Denn was die Wissenschaft in der Natur entdeckt, ist ja nun eben gerade nicht die Teleologie; vielmehr entdeckt sie jene wirkursächlich-mechanistisch verstandenen „Gesetze“, die diese Ordnung „steuern“, und diese Gesetze, wie die gesamte moderne Naturwissenschaft, kennen keine Finalursachen.32 Das „naturwissenschaftliche Weltbild“ ist also gerade nicht-teleologisch. Nur die Primärerfahrung ist teleologisch (und sie ist eine gültige Erfahrung, aber anderer Ordnung: Ich war vor kurzem im Zürcher Zoo, wo alle Erklärungen der Eigenschaften der verschiedenen Tiere teleologisch sind [„Tier X hat Eigenschaft Y, damit es/um zu“, etc.], aber hier wird keine Biochemie vermittelt – nicht das „Funktionieren“ der Tiere erklärt –, sondern beschreibende Zoologie betrieben; nichts wird hier „erklärt“, sondern dem Betrachter wird die teleologische Struktur von Lebewesen und ihrer Interaktion mit der Umwelt verständlich gemacht33).

Dasselbe gilt nun aber auch für die Evolutionstheorie: Diese leugnet in keiner Weise den teleologischen Charakter der Evolution, d. h. das Faktum der Entstehung höherer und differenzierterer Formen des Lebens aus niederen Formen, das Faktum der Zielrichtung auf ein „Optimum“ bis hin zum Menschen, die „Krone der Schöpfung“ (wobei der Prozess aus biologischer Sicht theoretisch noch weiter gehen könnte). Für das Faktum dieser Aufwärtsentwicklung will die Evolutionstheorie ja gerade eine Erklärung liefern.34 Aber sie erklärt, wie alle Naturwissenschaft, diesen Prozess selbstverständlich auf nicht-teleologische Weise, indem sie den „Mechanismus“ sucht. Dieser, so sagt sie, ist die Kombination von Zufallsmutation und natürlicher Selektion, ohne dabei zielgerichtete Ursachen oder eine „Absicht der Natur“ zu finden.35 Damit dürfte auch der obige Einwand erledigt sein (falls dieser Einwand nicht auch noch die statistische Mechanik oder die Quantenphysik treffen und als Ideologie zurückweisen will). So schreibt etwa Rainer Koltermann zutreffend: „Gott ist kein Gegenstand biologischer Erkenntnis. Biologisch können wir nur vom Ergebnis der Evolution sprechen: Tatsächlich ist der Mensch bei der Evolution herausgekommen (...). Ob der Mensch das Ziel von Anfang an war oder Zufallsprodukt der Entwicklung, lässt sich biologisch nicht entscheiden (...).“36

Ich erlaube mir deshalb, noch einmal – rekapitulierend – zu Thomas und seiner Quinta via zurückzukehren, um zu skizzieren, wie man meiner Meinung nach, vorausgesetzt, die neodarwinistische Evolutionstheorie ist wissenschaftlich gültig, die Frage nach Gott und Schöpfung stellen sollte: Wie bereits mehrmals gesagt, liegt die Pointe der Quinta via darin, dass dieser „Gottesbeweis” davon ausgeht, es gebe innerhalb der Natur keine „Intelligenten Ursachen“. Die Natur ist, sagt uns Thomas, wie der Pfeil des Schützen, der auf sein Ziel hin gelenkt ist, aber der Schütze gehört selbst nicht zur Natur und ist in ihr auch nicht zu erkennen; nur der Flug des Pfeils und seine Zielgerichtetheit sind zu erkennen: Sie sind „Natur“. Zur naturimmanenten Erklärung des Flugs des Pfeils bedarf es also nicht der Annahme, es gebe abgesehen vom Schützen – also innerhalb der Natur – irgendeine intelligente Ursache, die für diese Zielgerichtetheit verantwortlich ist. Und ebenso wenig ist es sinnvoll, will man „Natur“ nicht zerstören oder degradieren, anzunehmen, der Flug des Pfeils sei durch einen in die Natur eingreifenden übernatürlichen Schützen verursacht; denn die Natur ist, um es zu wiederholen, „ratio artis divinae indita rebus“. Nicht in der Natur und in einzelnen ihrer Prozesse kann man also den „Schützen“ erkennen, sondern nur aus ihr als gesamthaftem Ordnungsgefüge.

Da die intelligenten Ursachen dieser Ordnung und Zielgerichtetheit selbst nicht Bestandteil der Natur sind, so sind sie auch nicht Gegenstand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Die weitere Frage, nach dem Ursprung dieser Ordnung ist ebenfalls keine naturwissenschaftliche Frage, sondern eben die Frage der Philosophie. Wer behauptet, es gebe in der Natur keine intelligenten Ursachen, welche die Ordnung erklären, behauptet damit nicht – auch wenn er es fälschlicherweise daraus schließt –, es gebe keine der Natur transzendente intelligente Ursache dieser Ordnung (keinen Pfeilschützen) oder die „ratio artis indita rebus“ sei nicht die ratio einer „ars divina“. Noch weniger leugnet er die teleologische Strukturiertheit von Naturprozessen.

Das alles spielt sich in Thomas’ Quinta via ausschließlich auf der Ebene der Frage nach der Naturordnung als solcher ab. Thomas stellt sich nicht die Frage nach der Entwicklung der Natur, in unserem Fall: der Entwicklung des Lebens. Mir scheint nun aber interessant, dass die Evolutionstheorie in ihrer neodarwinistischen Form der Quinta via neue Aktualität verleiht, ja ihre Bedeutung sogar noch potenziert: Denn offenbar, so sagt uns heute die Naturwissenschaft, sind nicht nur die Prozesse der jetzt existierenden Natur auf Grund von bloßen Wirkursächlichkeiten (ich meine: ohne in der Natur wirkende intelligente Ursachen oder intentionale Prinzipien) erklärbar, sondern auch die Entwicklung dieser Natur bzw. des Lebens selbst ist es.37 Die neodarwinistische Evolutionstheorie ist doch letztlich nichts anderes als eine „mechanistische“ Erklärung der Evolution des Lebens, selbst also Formulierung eines Naturgesetzes (hier ein stammesgeschichtliches Entwicklungsgesetz). Insofern aber stellt sich die Frage nach dem Ursprung dieser Naturgesetzlichkeit wieder in der traditionellen Weise. Denn diese Naturgesetzlichkeit der Evolution ist ja faktisch und offensichtlich zielgerichtet und schafft Ordnung. Sie kulminiert in der jetzt existierenden, durch Gesetze beschreibbaren und innerhalb ihrer voraussehbaren Naturordnung und, was das Leben betrifft, im Menschen als dessen Höchstform. Dies gilt, auch wenn diese „jetzige Natur“ selbst wiederum nur eine Momentaufnahme eines weiterschreitenden Entwicklungsprozesses sein sollte, was wir aber nicht wissen können, zumal der Mensch heute ja seine eigene Evolution selbst in die Hand genommen hat bzw. durch Technik und Medizin sie, d. h. den Mechanismus der natürlichen Selektion, für sich selbst außer Kraft setzt. Sie stellt sich erneut als die Frage nach dem Ursprung von teleologischen Strukturen in der Natur, obwohl hier doch weder Intelligenz noch Intentionalität anzutreffen ist: Denn es ist wiederum ein Faktum, dass die Evolution des Lebens selbst ein zielgerichteter Prozess ist, und zwar in dem Sinne, dass er de facto zu immer höheren und differenzierteren Formen des Lebens geführt hat und, wie gesagt, im Menschen kulminiert. Diese Frage wird nun eben – als eminent philosophische Frage – gerade durch ID abgeblockt, weil ID diese Frage nämlich als naturwissenschaftliche Frage verstehen will und als Korrektur oder Relativierung der Evolutionstheorie. Damit aber verändert sich unter der Hand der Naturbegriff in einer höchst fragwürdigen Weise: Es wird innerhalb der Natur nach dem „Pfeilschützen“ oder „Künstler“ gesucht bzw. man braucht nun das intelligente und planende Eingreifen Gottes, um Naturprozesse zu erklären.

Autonomie der Natur oder „Geist in der Maschine“?

Nehmen wir einmal an, wir hätten überhaupt keinerlei naturwissenschaftliche Evolutionstheorie, wüssten jedoch auf Grund paläontologischer Befunde, dass das Leben sich entwickelt hat. Wir hätten dann zwei Möglichkeiten:

(1) Wir könnten annehmen, dass die Entwicklung von der Natur immanenten intelligenten Ursachen gesteuert ist.

(2) Wir könnten annehmen, dass die gesamte Entwicklung sich einem dauernden, wenn auch für uns unsichtbaren Eingreifen einer transzendenten intelligenten Ursache – d. h. Gott – verdankt.

Im unwahrscheinlicheren Fall (1) wird die Natur vergöttlicht. Wir gelangen zu einer Art „Deus sive natura“, sind dem Pantheismus nahe, kommen jedenfalls ohne transzendenten Gott aus. Wir könnten zwar immer noch fragen, ob denn diese der Natur immanenten intelligenten Ursachen selbst noch eine transzendente Ursache besitzen, aber – was die Frage der immanenten Teleologie von Naturprozessen anbelangt – wäre es dann auch möglich, auf Gott ganz zu verzichten, denn die Natur erklärte sich gerade hinsichtlich des Ursprungs der Ordnung aus sich selbst, der Pfeilschütze oder der Ingenieur wären ihr dann immanent, sie besäße Intelligenz und Intentionalität. Die Frage, die Thomas in der Quinta via stellt, müsste dann also gar nicht mehr gestellt werden.

In Fall (2) hingegen zerstören wir „Natur“ als eigenständiges und ursächlich strukturiertes „System“; wir zerstören, was man in der Philosophie Zweitursächlichkeit” nennt und landen im Okkasionalismus, wo letztlich nicht die Natur ursächlich wirkt, sondern immer nur Gott. Gott wird gleichsam in die Natur hineingeschmuggelt, diese selbst wird als eigenständiges Ursache-Wirkungs-Gefüge entthront, Gott wird zum Deus ex machina, der der impotenten Natur auf die Sprünge hilft. Diese Position – meiner Ansicht nach typisch für ID – scheint mir inakzeptabel.

Es könnte jedoch den Anschein erwecken, als ob es dennoch ein Paradigma gäbe, das das Zusammenwirken von Natur und göttlichem Schöpfungshandeln auf diese „interventionistische“ Weise erklärt: Die – von der katholischen Kirche gelehrte – unmittelbare Schöpfung der menschlichen Seele bei jedem menschlichen Zeugungsakt.

Das schöpferische Eingreifen“ Gottes bei der Zeugung eines Menschen zur Erschaffung der menschlichen Seele ist jedoch – wie der Mensch in der Natur überhaupt – ein absoluter metaphysischer Sonderfall (und bekanntlich auch der einzige Punkt, bei dem das Lehramt der Kirche festhält, dass keine pure Evolution geherrscht haben kann38). Dieser Fall kann keineswegs zum allgemeinen Paradigma dafür erhoben werden, wie Sekundärursachen und Primärursache (göttliches Schöpfungshandeln) zusammenwirken. Es wäre verfehlt, hier überhaupt von einem „Zusammenwirken“ zu sprechen; es handelt sich um ganz andere Ebenen; die Primärursache ist nicht eine „Ergänzung“ der Sekundärursache und wirkt nicht mit ihr zusammen; vielmehr existiert und wirkt die Sekundärursache überhaupt nur auf der Grundlage der Primärursache, und zwar ist letztere nicht nur teilweise, sondern ganz und radikal dafür verantwortlich, nämlich auf der Ebene des Seins der Sekundärursache. Beide, Primär- und Sekundärursache, sind jedoch, jeweils auf ihrer Ebene, wirklich und aus eigenem Vermögen Ursache der ganzen Wirkung. Und das heißt auch: Die Erkenntnis der Primärursache und ihrer Wirksamkeit ist in der Erkenntnis der Sekundärursächlichkeit nicht eingeschlossen: Man kann die ganze Wirkung – auf der entsprechenden Ebene, hier: der „Natur“ – auf Grund der Sekundärursache und ihrer Potenz erkennen und erklären. Die Primärursache wirkt tragend, fundierend, gewissermaßen im Hintergrund, gehört aber zu einer anderen „Ursächlichkeitsstufe“ und damit auch zu einer anderen Erkenntnisebene und füllt nicht die „Lücke“ der Erkenntnis der Sekundärursächlichkeit (der Natur). Das ist nun gerade bei der Beseelung des menschlichen Embryos nicht der Fall: Hier greift Gott schöpferisch ein; es gibt also ein „Zusammenwirken“ beider Ebenen, aber das Sprechen darüber ist –auch aus anderen Gründen – wiederum in keiner Weise Sache der Naturwissenschaft.

Nochmals ist daran zu erinnern, dass die menschliche (geistige) Seele nicht aus der Natur stammen kann, weil sie mehr als „Natur“ ist, nämlich Teilhabe an der göttlichen Natur.39 In ihr finden sich nach christlicher Auffassung nicht nur, wie in der gesamten Schöpfung (weil ja alles geschaffene Sein Teilhabe am göttlichen Sein ist) die vestigia Dei, die Spuren Gottes, sondern mehr: in der menschlichen Seele ist die imago Dei, das Ebenbild Gottes.40 Der Mensch besitzt demnach eine Art Doppelnatur: die körperliche Natur (natura corporalis), die ganz aus dieser Welt, d. h. der geschaffenen Naturordnung stammt; und die intellektive oder geistige Natur (natura intellectualis), die nur direkt von Gott stammen kann.41 So sagt es Thomas, jedes menschliche Individuum komme hinsichtlich seiner körperlichen Natur nicht von außen in diese Welt hinein, sondern stamme aus dieser Welt; hinsichtlich seiner Geistnatur hingegen, die nicht aus der Welt, sondern von außerhalb ihrer stammt, sei es von Gott geschaffen.42 Es wäre also – zumindest gemäß thomistischer Logik – abwegig, das Zusammenwirken von Naturursachen (Formung der natura corporalis) und göttlich-schöpferischem Handeln (Erschaffung der natura intellectualis bzw. der Geistseele) zum allgemeingültigen Paradigma der Beziehung Schöpfer-Naturprozesse zu erheben. Im Unterschied zum Sonderfall des Menschen ist Thomas der Meinung – dabei Aristoteles und Averroes folgend –, dass bei anderen Lebewesen – wie bei Naturdingen überhaupt – die „Form“ (d. h. bei Tieren: die animalische Seele) „aus der Potentialität der Materie eduziert“ wird. Hier zwei Stellen bei Thomas, wo dies erwähnt wird (im Sentenzenkommentar und der Quaestio Disputata De Potentia). Thomas spricht zuerst von jenen Philosophen, die behaupten, dass sämtliche substantiellen Formprinzipien auch der körperlichen Naturdinge und Lebewesen, auch Gesteinsformen, das Feuer, bis hin zur Tierseele, aus einem außernatürlichen, separierten Prinzip stammen. Andere hingegen

„wie Aristoteles und sein Kommentator [Averroes], welche behaupten, dass die anderen materiellen Formen durch Naturkräfte aus der Materie herausgeführ [„eduziert“] werden, sind der Meinung, dass auch die Tierseele und die Pflanzenseele durch Fortpflanzung weitergegeben werden.“43

Die andere Stelle lautet (der genauere Kontext ist hier nicht von Bedeutung):

„… In jenen Dingen, denen die Möglichkeit zukommt, auch nicht zu sein [also wie alles Körperliche vergänglich sind], verbleibt die Materie; die Formen hingegen, da sie bei ihrer Entstehung aus der Potenz der Materie in die Aktualität hinausgeführt werden (sicut ex potentia materiae educuntur in actum in rerum generatione), werden bei ihrem Vergehen vom Akt in die Potenz zurückgeführt.”44

Thomas übernimmt diese Sichtweise von Aristoteles und Averroes, die Ansicht nämlich, dass die substantiellen „Formen“ der Körperdinge, eingeschlossen die Pflanzen- und Tierseelen, dadurch entstehen, dass sie aus der Potentialität der Materie „eduziert“ werden. Von einem neuerlichen schöpferischen Eingreifen Gottes beim Zeugungsprozess findet sich hier keine Spur. Nur die ipsa natura als solche ist Wirkung eines göttlichen Schöpfungsaktes. Die Natur – die Ebene der Sekundärursachen – enthält also bereits alles, was für das Entstehen des neuen Lebewesens notwendig ist; es braucht kein „Zusammenwirken“ mit Gott. Gott ist anders präsent, nämlich als schöpferische (und damit auch vor dem Rückfall ins Nichts bewahrende) Seinsursache, und damit verursacht er das Sein und die gesamte Ursächlichkeit der Zweitursache – ratio artis divinae indita rebus – und ist in ihr dauernd präsent auch als Ursache aller Zufälle.

Die Tatsache, dass Gott die menschliche Seele unmittelbar erschafft, diese also nicht „aus der Potentialität der Materie eduziert“ wird, hat aber selbst wiederum keinerlei naturwissenschaftlichen Erklärungswert. Die Biologie der menschlichen Fortpflanzung, Genetik und Embryologie werden dadurch nicht relativiert oder in ihrem naturwissenschaftlichen Erklärungswert herabgemindert; ebenso wenig werden sie durch den Hinweis auf das schöpferische Eingreifen Gottes bei der Erschaffung der menschlichen Seele als naturwissenschaftliche Erklärungen ergänzt oder vollständiger.

Letztlich geht es hier um die Berücksichtigung der klassischen Lehre von den Zweitursachen. Die gesamte Natur ist eine System von „Zweitursachen“ (oder „Sekundärursachen“), ein von Gott, der Erstursache (oder Primärursache), geschaffenes „System“ von eigenständig und in diesem Sinne autonom wirkenden Ursachen. Dieses System, sofern es die körperliche Welt betrifft, nennen wir „Natur“. Man darf Sekundärursachen nicht mit Instrumentalursachen verwechseln. Instrumentalursachen – man unterscheidet sie nicht von der „Primärursache“ (causa prima), sondern von der „Hauptursache“ (causa principalis) – ist es eigen, ihre Wirkung nur durch die direkte und aktuelle Einflussnahme der causa principalis zu erzielen (so wie ein Pinsel Rembrandts „Nachtwache“ gemalt hat). Es ist zwar wahr, dass auch die Instrumentalursache auf ihrer Ebene die Ursache der gesamten Wirkung ist, aber nicht aus eigenem Vermögen. Rembrandts Pinsel hat – bzw. haben – die gesamte Wirkung erzielt; nichts ist an dem Bild, das nicht von einem der Pinsel oder von anderen Werkzeugen stammen würde. Dennoch war der Pinsel unfähig, diese Wirkung zu erzielen – er hat dazu nicht die Potenz –, und er ist nicht die eigentliche Ursache davon, sondern nur „Mitursache“, die ihre ursächliche Wirkung hinsichtlich des Gemäldes überhaupt nur deshalb entfalten konnte, weil sie kraft der causa principalis (hier: der Maler Rembrandt) wirkte. Der Pinsel kann nur Farben auf Leinwand auftragen, aber keine „Nachtwache“ malen. Causa principalis und causa instrumentalis sind hierarchisch übereinander koordinierte und sich ergänzende Ursachen, wobei die Hauptursache durch die Instrumentalursache „hindurch“ wirkt und diese gleichsam auf ein höheres Potenz- und Kausalitätsniveau hebt. Und zwar wirkt die causa principalis hier gerade nicht nur hinsichtlich des Seins, sondern auch hinsichtlich der kategorialen Wirkung (Form, Gestaltgebung, Farbenwahl, Farbenverteilung, Abschattung, gemäß der Konzeption des Gemäldes im Geist des Künstlers). Falls man „Natur“ diesem Paradigma gemäß begreifen wollte, dann gäbe es keine Natur, denn diese ist ja die „ratio artis divinae indita rebus“: „Natur“ ist kein „Instrument“ in der Hand Gottes, mit dem dieser Wirkungen hervorbringt, welche Vermögen und Ursächlichkeit der Natur übersteigen. „Natur“ ist vielmehr den geschaffenen Dingen eingegebene ursächliche Kraft (= Sekundärursächlichkeit), mit deren diese dann Wirkungen aus eigenem Vermögen erzielen (so wie, sagt Thomas, wenn das Holz aus sich die Kraft hätte, zum Schiff zu werden)45.

Auch Sekundärursachen („Natur“) bringen ihre Wirkung ganz hervor, aber nicht in gleicher Weise wie die Instrumentalursachen. Sekundärursachen – und damit „Natur“ – sind nicht eine Art „Mitursachen“, sondern gerade auf ihrer Ebene autonome Ursachen und wirken aus eigenem Vermögen (gemäß ihrer „Natur“). Die „Autonomie“ ist gerade das Proprium der Sekundärursache und Charakteristikum von „Natur“. Sie ist freilich nicht eine totale Autonomie, denn auf der Ebene des „Seins“ gibt es keine Autonomie des Geschöpfs; es ist ununterbrochen vom schöpferischen Wirken Gottes – der conservatio in esse – abhängig, ansonsten es ins Nichts zurückfallen würde. Ebenso wenig hat die Natur die ihr innewohnende „ratio artis“ aus sich selbst hervorgebracht, denn sie ist ja als Ganze aus dem Nichts erschaffen, und so handelt es sich eben um eine „ratio artis divinae“. Wohl aber gibt es in ihr echte wirkursächliche Autonomie, die, immer auf der Ebene der Natur, vollständig ist. Naturursachen sind nicht wie Pinsel, die nur in der Hand des Künstlers die ihnen eigenen Wirkungen hervorbringen! Würde man das – für die Naturwissenschaft unsichtbare und methodisch irrelevante – eingreifende Schöpfungshandeln Gottes bei der Zeugung eines Menschen zum allgemeinen Paradigma für die Beziehung zwischen göttlichem Schöpfungshandeln und Naturkausalität erheben, so führte dies zur Aufhebung dessen, was Natur und Sekundärursache sind, und käme m. E. – zumindest in der Konsequenz – in mancher Hinsicht einer okkasionalistischen Position nahe. Im Falle der Zeugung eines Menschen und der direkten Erschaffung seiner Seele gibt es eine komplexe Mischung von Sekundär- und Instrumentalursächlichkeit: Man kann nämlich sicher sagen, dass der menschliche Zeugungsakt (und alles, was sich dabei biologisch abspielt) bezüglich des durch eine geistige Seele formierten menschlichen Lebewesens instrumentalursächlich wirkt, dennoch aber der Zeugungsakt als solcher der Logik der Sekundärursächlichkeit folgt; in gewisser Weise ist letzterer tatsächlich eine Art „Mittel“ oder „Disposition“, auf deren Grundlage Gott nicht nur die Seele erschafft, sondern das gesamte menschliche leib-seelische Kompositum. Aber, wie gesagt, dies ist ein Spezialfall und keinesfalls ein Paradigma für die Beziehung zwischen Schöpfer und „Natur“ generell und vermag deshalb kaum etwas zur Klärung der vorliegenden Fragen beizutragen.

Die Entstehung von Komplexität: Evolutionär nicht erklärbar?

Bekanntlich behaupten Autoren wie Michael Behe, dass komplexe biochemische Strukturen – wie etwa so genannte „molekulare Maschinen“ – unmöglich ohne Eingreifen einer intelligenten Ursache durch bloße Evolution aus vorgegebenem Material entstehen können.46 Allgemein ließe sich das als die Frage formulieren, wie sich durch bloße Evolution, ohne das Eingreifen einer weiteren Ursache, aus dem Einfachen etwas Komplexeres, und das heißt auch aus dem Niedrigeren etwas Höheres und damit auch etwas ganz und gar Neues – wie etwa eine neue, höher entwickelte Spezies – herausbilden könne.

Zunächst: Das „Niedere“ ist nicht der Gegenbegriff zu „das Komplexere“ und „das Komplexere“ ist nicht dasselbe wie „das (ontologisch) Höhere“. Gott ist ontologisch das Höchste, aber auch das Einfachste. Gott ist nicht „komplex“, wohl aber die Fülle des Seins. Größere Komplexität heißt nicht schon größere Fülle des Seins (höchstens im Sinne der Aktualisierung des potentiell jedoch zuvor bereits Vorhandenen). Es würde sich hier also ein Zirkel eröffnen: Wenn nämlich die neodarwinistische Theorie der Evolution des Lebens stimmt, dann heißt dies, dass die einfachste Form des Lebens, zwar nicht in actu, wohl aber in Potenz, bereits jene Fülle des Seins enthält, die fähig ist, sich zu Formen der Komplexität zu entwickeln, die uns von höheren Lebewesen bis hin zu den Säugetieren bekannt sind. Und sollte selbst die Entstehung des Lebens so erklärt werden können – so weit sind wir freilich noch nicht und niemand weiß, ob das mit neodarwinistischen Mitteln möglich ist –, dann gälte dasselbe schon für die leblose Materie oder für die „Ursuppe“. Warum auch nicht? Meiner Ansicht nach gäbe es dagegen keine zwingenden metaphysischen Argumente.

Festzustellen, ob es sich so verhält, d. h. die tatsächliche Potentialität der Materie bzw. primitiver Formen des Lebens und deren genetischen Information zu erkennen, ist einzig und allein Sache der Naturwissenschaft. Falls sie eine solche Potentialität nachweisen kann, so müssen wir dann daraus schließen, dass die Einfachheit des Anfangs (Ursuppe oder primitivste Formen des Lebens) in irgendeiner Weise bereits die Potentialität zum Komplexeren in sich enthält. Natürlich handelt es sich bei solcher Evolution gerade nicht um Zeugungsprozesse (denn diese laufen nach dem Muster der univoken Kausalität ab, wonach das Erzeugte immer gleicher Spezies wie der Erzeuger ist), wohl aber könnte es sein, dass Zufallsmutationen und natürliche Selektionsprozesse genau jene Faktoren sind, die komplexere Formen des Lebens (bzw. der Materie) „aus der Potentialität“ der einfacheren Formen „eduzieren“, um die thomanische Formulierung zu gebrauchen: Die ist ja für ihn die generelle Weise von Naturkausalität; einzig und allein im Falle der Erzeugung des Menschen verhält es sich anders, und daran hält auch das kirchliche Lehramt bezüglich der Evolution fest. Geist kann sich nicht aus der Materie entwickeln. Im Falle des Menschen, dem einzigen geistbegabten Wesen der materiellen Welt, ist der Geist nicht aus der Natur, sondern nur in der Natur. Von „Geist“ zu sprechen, ist jedoch wiederum nicht Sache der Naturwissenschaft, denn diese hat allein zum Gegenstand, was aus der Natur stammt und entsprechend mit Naturkausalität erklärbar ist.47

Die Frage wäre meiner Ansicht nach also richtig gestellt, wenn sie lautete: „Kann aus dem Einfachen Komplexeres werden?“ Sie von Fall zu Fall – im Hinblick auf die Entwicklung des Lebens oder sogar des Kosmos generell – zu beantworten, ist, um es zu wiederholen, allein Sache der Naturwissenschaft. Vertreter von ID behaupten, dies sei nicht möglich. Sie haben dafür aber keine empirischen „Beweise“, sondern lediglich solche gedanklicher Art. Die Vertreter des Neodarwinismus hingegen behaupten, sie hätten empirische Argumente dafür, dass eine solche Entwicklung von Komplexerem auf Grund ihrer Theorie erklärbar sei.48 Manches ist hier umstritten, sehr vieles heute aber auch generell wissenschaftlich anerkannt und gesichert. Jedenfalls müssen wir uns davor hüten, vorschnell wissenschaftliche Theorien als ontologische Unmöglichkeit zu entlarven, sondern es der Naturwissenschaft überlassen, uns darüber zu belehren, welche genau die Potentialität der Natur hinsichtlich der Hervorbringung von höheren Stufen von Komplexität ist.49

Ich gebe zu, dass eine solche Sicht einer ursprünglichen Potenz einfacher Lebewesen, oder gar der „Materie“ überhaupt, zur Entwicklung komplexerer Strukturen Konsequenzen hat für unsere Vorstellungen von „Materie“. Nicht dass der Begriff der Arten (Spezies) unsinnig würde und wir nicht mehr von verschiedenen „Stufen“ des Lebens usw. sprechen oder Säugetiere nicht mehr von Reptilien (sowie einzelne Arten innerhalb dieser Gattungen) unterscheiden könnten.50 Ich denke vielmehr, dass wir vielleicht erkennen müssen, dass „Materie“ bzw. primitive Formen des Lebens und der genetischen Information Potentialitäten besitzen, die wir als Philosophen und Theologen bislang unterschätzt haben. Ich denke natürlich nicht an die Materie „schlechthin“ (die materia prima), die reine passive Potenz ist. Sondern an die „real existierende“ Materie des Universums, die ja geformte und aktiv-vermögende Materie ist, und an die RNA und DNA. Uns über solche Dinge weiter aufzuklären, müssen wir jedoch wiederum der Naturwissenschaft überlassen. Aber die augustinische Idee der rationes seminales und einer darauf folgenden Evolution wird vielleicht gerade durch die moderne Naturwissenschaft gestützt.51

Gerade weil heute vom Faktum der Evolution des Lebens und sogar des Kosmos ausgegangen werden muss, ist es jedenfalls gerade die neodarwinistische Evolutionstheorie (Kombination von Zufallsmutationen und natürlicher Selektion mit dem Ergebnis einer Ordnung, einer klaren Tendenz zum „Fortschritt“ im Sinne einer Aufwärtsentwicklung mit Kulminationspunkt im Menschen52), die uns nahelegt, auch hier der Logik der Quinta via zu folgen. Diese Logik impliziert, ich wiederhole es, dass es innerhalb der Natur keine intelligenten Ursachen – keine Absichten – gibt und dass wir gerade deshalb auf einen transzendenten Schöpfergott schließen müssen. Wie Gott das alles gemacht hat, wissen wir nicht, so wenig wir verstehen können, wie Gott Herr einer Geschichte ist, die selbst durch kontingente Ursachenketten entsteht und wie Gott unsere freie Entscheidung vorauswissen kann, ohne diese Freiheit zu tangieren. Ob die neodarwinistische Theorie der Evolution des Lebens das Entstehen von so genannter „irreduzibler Komplexität“ erklären kann, ist, ich wiederhole es, eine rein naturwissenschaftliche Frage. Michael Behe verneint dies, mit seinem berühmten Beispiel der Mausefalle. In seiner kurzen, für mich einleuchtenden Antwort auf Behe zeigt der bereits erwähnte Kenneth Miller aber gerade anhand des Beispiels der Mausefalle, dass Behe Unrecht hat53

Was können wir schon darüber wissen, welche Entdeckungen, auch bezüglich der „Mechanismen“ der Evolution, die zukünftige Naturwissenschaft noch machen wird? Die jetzige Evolutionstheorie vermag vieles zu erklären, enthält aber auch Lücken und ist in Einzelaspekten auch unter ihren Vertretern kontrovers. Wie gesagt, viele Entdeckungen naturwissenschaftlicher Art können hier womöglich noch gemacht werden. Vielleicht wird die neodarwinistische Theorie der Evolution des Lebens einmal ad acta gelegt werden, aber nicht, weil man plötzlich das göttliche Schöpfungshandeln in der Natur entdeckte, sondern auf Grund neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Am wahrscheinlichsten scheint mir eine zunehmende Vervollständigung der neodarwinistischen Evolutionstheorie, die allerdings auch darin bestehen könnte, dass sie in ihrer heutigen Gestalt einmal nur noch ein kleiner Teil einer höher entwickelten Theorie sein wird. Das wäre nicht ihre Falsifizierung. Die newtonsche Mechanik wurde durch die Relativitätstheorie nicht falsifiziert, sondern nur relativiert, indem man ihre Gesetze als Grenzfall erkannte. Aber diese Relativierung war ein rein innerwissenschaftlicher Vorgang (der übrigens ebenfalls zu erheblichen weltanschaulichen Erschütterungen und theologischen Widerständen führte, wie praktisch jede zu einem Paradigmenwechsel führende wissenschaftliche Innovation). Die Aggressivität von Neodarwinisten gegenüber ID kann man nicht allein aus dem fanatischen Atheismus und Materialismus vieler von ihnen erklären. Sie wird auch verursacht durch das Ethos des Naturwissenschaftlers, der die legitime methodische Autonomie seiner Wissenschaft gegenüber Einmischungen von Seiten der Philosophie, der Theologie und – in der Erinnerung an historische Erfahrungen – der Kirche verteidigt.

Gott: Herr des Zufalls und Herr der Geschichte

Die gesamte Diskussion besitzt für mich offen gestanden den Charakter eines Déja vu. Ähnliche Diskussionen hat es im Laufe der Geschichte schon zuhauf gegeben, und sie verliefen am Ende immer zugunsten der Wissenschaft und zuungunsten der Einspruch erhebenden Philosophen und Theologen, die schließlich ihre Position revidieren mussten.54 Denken wir nur an die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Newtonianern und Leibnizianern zu Beginn des 18. Jahrhunderts: Für die Anhänger Newtons – etwa den Theologen Samuel Clark – war Leibniz ein „Atheist“, da er behauptete, die Welt laufe wie ein Uhrwerk, Gott brauche es nicht immer wieder aufzuziehen, und deshalb sei er überflüssig geworden. Leibniz hingegen beschimpfte die Newtonianer als Atheisten, da diese doch Gott brauchten, um dem Kosmos von Zeit zu Zeit wieder Energie zuzuschießen (die Newtonschen „Principia mathematica philosophiae naturalis“, in der dieser seine Mechanik entwickelt, schließen ja mit einem Kapitel über die Rolle Gottes als Energiespender für die Erhaltung der Planetenbewegungen), und weil sie den unendlichen Raum das „Sensorium Gottes“ nannten. Damit, so Leibniz, würde Gott zu einer Naturursache und seiner Transzendenz und damit seiner Göttlichkeit beraubt. Man hatte damit nicht so Unrecht: Als dann Laplace schließlich die newtonsche Kosmologie zur Vollendung brachte und keinen göttlichen Energiespender für die Erhaltung der Planetenbewegungen mehr benötigte, erklärte er, er brauche die „Hypothese Gott“ in seinem System nicht mehr. Falls Laplace meinte, er brauche Gott nicht mehr, damit sein Planetensystem funktioniere, so war das richtig. Falls er aber gemeint haben sollte, da man nun das Funktionieren des Planetensystems gänzlich ohne Zuhilfenahme von Gott erklärt habe, bräuchte man diesen auch als Schöpfer nicht mehr und die Welt erkläre sich aus sich selbst, so hatte er Unrecht.

In der Tat stehen wir hier vor einem Problem des Verständnisses der Beziehung zwischen göttlich-schöpferischer Ursächlichkeit und derjenigen der geschaffenen Dinge, das sich analog zu einem anderen verhält (auch wenn es sich um ein ganz anders geartetes Problem handelt): Die Frage, wie Gott Herr der Geschichte sein kann, wenn diese doch ein kontingenter Prozess ist (es gibt keine geschichtswissenschaftliche Methode, mit der das Handeln Gottes in der Geschichte aufspürbar wäre, und es wäre geradezu lächerlich, das zu versuchen). Nichts geschieht jedoch in der Geschichte ohne Gottes Willen, und doch geschieht vieles aus „Zufall“ (unkoordinierte ursächliche Zusammenhänge). Ebenso bekannt und ähnlicher Art ist die Frage der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und der menschlichen Freiheit: Gott kann von Ewigkeit her unsere freien Entscheidungen in die Pläne seiner Vorsehung „einbauen“. Und noch komplizierter wird es, wenn wir uns Fragen des Zusammenwirkens von Freiheit und Gnade stellen oder uns dem berühmten Problem der praemotio physica zuwenden.

Es ist mir bewusst, dass das „Weltbild des Neodarwinismus“ behauptet, die Entstehung menschlichen Lebens und auch des Menschen sei ein bloßer Zufall, für den es zudem minimale Wahrscheinlichkeit gegeben hat und worin ein allmächtiger, allwissender, vorsehender und schöpferischer Gott keinen Platz hat. Natürlich wäre eine solche Weltanschauung nicht mit dem christlichen Glauben und Gottesbild vereinbar. Doch ist Gott auch Herr des Zufalls. Unsere Vorstellungen von Evolution sind an die Zeit gebunden, und Gott steht außerhalb der Zeit und über ihr. Zudem hatte die Natur enorm viel, unvorstellbar viel Zeit, um das so Unwahrscheinliche dennoch zu verwirklichen. Und verwirklicht wurde es, wenn auch die Wissenschaft in diesem Prozess keine stringente Notwendigkeit und Voraussehbarkeit, also auch kein design entdecken kann. Der hohe Grad von Unwahrscheinlichkeit ist eher ein Argument für einen dahinter stehenden Schöpfer als gegen ihn. Vor allem aber: Die hohe Unwahrscheinlichkeit des Entstehens von Leben und dass die Evolution des Lebens genau diese Richtung, auf den Menschen hin, genommen hat, vermindert nicht die innere Folgerichtigkeit des Vorgangs, sondern nur die Wahrscheinlichkeit, dass er sich ein zweites Mal irgendwo in unserem Universum abgespielt hat oder abspielen könnte bzw. dass unter allen möglichen Universen ein zweites existiert, das sich in dieser Weise entwickelt hat. Auch die Existenz einer Unzahl anderer, evolutionär „gescheiterter“ Universen ist mit Gottes Allmacht vereinbar. Für ihn wäre dies ein Kinderspiel: Für Gott sind ja „1000 Jahre wie ein Tag“, und Ähnliches ließe sich von einer Unmenge anderer von ihm ins Sein gesetzter, aber evolutionär belangloser Universen sagen.

Kurz: Ich denke es ist für uns unerkennbar, wie genau das schöpferische Wirken Gottes (die Kausalität auf der Ebene des „Seins“) zusammenhängt mit Naturkausalität. Dies im Sinne einer ständigen „Neuschöpfung“ bzw. schöpferischen Modifizierung der Natur zu sehen, scheint mir eine zu primitive Vorstellung zu sein. Die scholastische Philosophie sagt, Gott sei allen Dingen per potentiam, per praesentiam und per essentiam innerlich: „So ist Gott also in allen Dingen durch seine Macht, sofern alle Dinge seiner Macht unterworfen sind. Er ist in allen Dingen durch seine Gegenwart, sofern alles Geschaffene offen vor seinen Augen liegt; schließlich ist er in allen Dingen durch sein Wesen, sofern er in allen Dingen gegenwärtig ist als die Ursache ihres Seins“55. Auch wenn der Zufall eine konstitutive Rolle spielt, so können wir sicher sein, dass Gott dennoch der Allmächtige und Allwissende ist und dass sich auch aller Zufall nicht außerhalb seiner Vorsehung abgespielt hat.

Wie bereits erwähnt, könnte Gott auch in planvoller Weise Zufälle verursachen, ohne dadurch schöpferisch-modifizierend in Naturprozesse einzugreifen bzw. die Natur zu „verbessern“ oder auf eine „höhere Stufe“ hinaufzuheben (d. h. ohne die „ratio“ der „ars divina indita“ zu modifizieren bzw. mit neuen, „höheren“ Elementen zu bereichern). Ob Gott durch die planende Einflussnahme auf Zufälle die Evolution gelenkt hat, können wir nicht wissen. Aber auch wenn er es getan hätte – und immer noch täte –, hätte das keinerlei Einfluss auf die naturwissenschaftliche Erkenntnis oder, gegebenenfalls, auf die Gültigkeit der neodarwinistischen Theorie der Evolution. Es würde auch nichts an der Tatsache ändern, dass es für die Entwicklung von komplexeren Strukturen des Lebens aus weniger komplexen eine ausreichende rein naturwissenschaftliche („mechanistische“) Erklärung geben kann, ohne Zuhilfenahme göttlicher Eingriffe in Naturprozesse (mit Ausnahme des Menschen hinsichtlich der geistigen Seele).

Der Gedanke, dass eine ratio artis divinae rebus indita mit dem, was wir Zufall nennen, spielt, mag zunächst irritieren. Wenn wir „Zufall“ jedoch so begreifen, wie oben ausgeführt, dann sehe ich hier keine weiteren Schwierigkeiten mehr. Natürlich denke ich nicht, dass Gott die Natur „koordiniert“, indem er jedes einzelne Elementarteilchen „bewegt“, so dass es im richtigen Moment am richtigen Ort ist. Wie gesagt: Wie Gott schöpferisch die Natur ordnet, entzieht sich ganz einfach unserem Verstehen. Was wir sehen, ist das Ergebnis, zu dessen Erreichung die Natur ja sehr, sehr viel Zeit gehabt hat: Das Ergebnis ist die Natur selbst mit ihrer Ordnung und dem Menschen als „Krone der Schöpfung“56. Und falls es denn wirklich die Evolution im neodarwinistischen Sinne sein sollte, die auf der Ebene der Sekundärursachen dazu geführt haben soll, dann kann man nur vor einem Gott, der so etwas gemacht hat, in die Knie gehen. Gott gehört ganz einfach einer anderen Ordnung an. Die innere Struktur seines Wirkens entzieht sich unserem rationalen Verstehen. Hier kann nur noch mystische – gnadengewirkte, übernatürlich-eingegossene – Erfahrung weiterhelfen. Lassen wir Gott Gott sein und die Naturwissenschaftler Naturwissenschaftler. Die theoretische Vermittlung der Ebenen ist Aufgabe der Philosophie und der Theologie und, lebenspraktisch, eine Frage des Glaubens.

Das Ethos der Naturwissenschaft und die Selbstbeschränkung von Philosophie und Theologie

Die eigentliche Pointe der vorangehenden Ausführungen besteht darin, dass wir die philosophisch-theologische Problematik der Evolution mit der Logik der Quinta via in den Griff bekommen können.57 Haben wir diese Logik einmal verstanden, so können wir nämlich die Evolution des Lebens, ja die gesamte kosmische Evolution, einfach unter „Natur“ subsumieren und deshalb gleichsam aus der Rechnung herausstreichen. Wir können ganz einfach von dem ausgehen, was uns hier und heute evident ist: Die Natur ist in sich ein zweckhaft organisiertes Ganzes, deren Prozesse eine teleologische Struktur besitzen. Da es innerhalb der Natur keine Intentionalität und Intelligenz gibt, muss diese von einer der Natur transzendenten intelligenten Ursache kommen, die gleichsam ihre Kunst in die Natur hineingelegt hat. Das ist die Idee der Natur als ratio artis divinae indita rebus. Zu verstehen, wie diese der Natur eingestiftete ratio artis divinae „funktioniert“, ist allein Sache der Naturwissenschaften. Die neodarwinistische Evolutionstheorie spricht nicht gegen den Schöpfer, sie verschärft sogar noch die Frage nach ihm. Denn auf Grund der Evolutionstheorie können wir heute sicher sein, dass der Kosmos selbst keine göttlich-intelligenten Kräfte enthält. Nur ein transzendenter Gott kann eine Natur, die solches hervorbringt, erschaffen haben. Hier kommt uns sogar die biblische Schöpfungsgeschichte zu Hilfe58, denn es heißt hier (Gen. 1, 24): „Gott sprach: Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor…“. Das Land bringt sie hervor – aber nur, weil Gott so gesprochen hat. Gott hat alles geschaffen; aber das Land, das Wasser usw. hat es „hervorgebracht“. Dies konnte es nur, weil Gott ihm durch sein „Wort“ diese Macht gegeben hat. Die Naturwissenschaft hat die Aufgabe, die Wirkweise dieser Macht zu erklären, die Philosophie und die Theologie (und die Offenbarung) darauf hinzuweisen, dass sie dem schöpferischen Wort Gottes entstammt. Die „Gottesbeweise“, die nicht mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Schlüssigkeit, sondern auf der Grundlage des philosophisch geläuterten Common sense argumentieren, müssen neu entdeckt werden. Sie sind es, die die Vernunft des Gläubigen stützen – ohne Glauben zu ersetzen –, nicht aber Einmischungen in die Naturwissenschaften sowie deren philosophisch-theologische „Zensurierung“.59

Gläubige Christen sollten sich also darauf beschränken, nur die philosophischen und theologischen – ideologischen – Schlussfolgerungen, die manche Wissenschaftler aus der Evolution ziehen, zu kritisieren sowie aufzuzeigen, dass auch eine Welt, in der das Leben sich durch die Kombination von Zufallsmutationen und natürlicher Selektion entwickelt hat, Gott als einen Schöpfer braucht, ja ihn noch mehr braucht, als eine Welt, die voller intelligenter Naturursachen, Natur-Pfeilschützen und Natur-Ingenieure wäre. Und dass die Natur des Neodarwinisten besser ist als eine Natur, die – ad maiorem gloriae Dei – ihrer wirkursächlichen Eigenständigkeit beraubt und als Spielfeld ständiger Eingriffe des planenden göttlichen Geistes begriffen würde, wodurch nämlich die gloria Dei nicht gemehrt, sondern eher vermindert würde. Denn wer eine Wirkung durch das Wirken eines Anderen (ebenfalls von ihm Hervorgebrachten) erzielt, zeigt größere Macht, als wer sie unmittelbar selbst hervorbringt.60

Natürlich weiß ich, wie stark der ideologische Druck eines materialistischen Weltbildes ist, der von vielen Naturwissenschaftlern gerade mit Hilfe und im Namen der Evolutionstheorie ausgeübt wird. Doch hat es dies im Laufe der Geschichte immer gegeben. Immer wurde Wissenschaft gegen den Glauben ausgespielt und propagandistisch missbraucht. Der größte Fehler wäre es, sich dadurch beirren zu lassen und sich dieser Wissenschaft entgegenzustellen, ihr gleichsam mit gleicher Münze zurückzuzahlen.61 Was wir tun müssen, ist vielmehr: uns unbeirrt die philosophischen und theologischen Fragen richtig stellen, auch wenn das dem Gläubigen und Frommen zunächst weniger befriedigend erscheint. Ich bin kein Deist: Ich anerkenne die Möglichkeit, dass Gott in den Gang der menschlichen Geschichte und durch Wunder in die Prozesse der Natur eingreifen kann, und habe keine Zweifel, dass er das auch tut.62 Aber geschichtliche Akteure sind nicht bloße Marionetten des „Herrn der Geschichte“. Und die Natur selbst ist kein „Wunder“, sondern Schöpfung.63 Dass Gottes Ursächlichkeit auch in jedem Augenblick in seiner Schöpfung gegenwärtig ist, steht für mich außer Zweifel. Aber diese Gegenwart ist mit menschlicher Wissenschaft nicht in den Blick zu bekommen.

Ich möchte nicht behaupten, es sei unmöglich oder undenkbar, dass Gott die Evolution sozusagen „schöpferisch begleitet“ hat und er tatsächlich in bestimmten „Momenten“ der Evolution eingriff, nicht nur, um den Menschen aus dem „Staub der Erde“ zu erschaffen, indem er ihm seinen Lebensatem einblies, sondern auch um gleichsam qualitativ neue, ontologisch „höher“ stehende Etappen der natürlichen Evolution schöpferisch zu initiieren. Aus philosophischer und aus theologischer Sicht kann man dies keinesfalls a priori ausschließen – auch wenn ich die Idee einer autonomen Evolution als reinen Naturprozess philosophisch befriedigender, ästhetisch schöner und theologisch großartiger finde –, und aus naturwissenschaftlicher Sicht könnte es eigentlich erst dann ausgeschlossen werden, wenn die gesamte Evolution lückenlos und vollständig wissenschaftlich erklärt wäre. Das Konzept der Natur als ratio artis divinae indita rebus würde durch eine solche „schöpferische Begleitung“ der Evolution grundsätzlich nicht tangiert (höchstens relativiert: die ratio artis divinae indita rebus wäre weniger vollkommen und fast könnte man sagen – wäre das nicht eine contradictio in adiecto –, Gottes Allmacht wäre weniger groß). Wogegen ich mich sträube ist hingegen zweierlei: Dass man erstens aus naturwissenschaftlicher Perspektive – also innerhalb der Naturwissenschaft – beginnt, von intelligent design im Sinne der Notwendigkeit schöpferischer Eingriffe in den Naturprozess der Evolution zu sprechen und, zweitens, dass man aus philosophischer und theologischer Perspektive beginnt, naturwissenschaftliche Theorien – als solche – im Hinblick auf ihre Kompatibilität mit der Notwendigkeit eines Schöpfergottes zu beurteilen bzw. zu verurteilen, anstatt sich auf die Beurteilung der falschen philosophischen und theologischen weltanschaulichen Schlussfolgerungen daraus zu beschränken.64

Was das erste betrifft: Während der Wissenschaftler als Person offen bleiben soll für das Übernatürliche, sollte er als Naturwissenschaftler – das ist ein methodisches Erfordernis – immer nur offen sein für den wissenschaftlichen Fortschritt. Wissenschaft muss, so lange keine wissenschaftliche Alternative in Sicht ist, weitersuchen, auch wenn eine Theorie noch sehr unvollständig und ungenügend ist. Noch einmal sei Rainer Koltermann zitiert: „Es ist sicher schlechte Philosophie und Theologie, wenn ein naturwissenschaftliches ‚Wir wissen es nicht’ mit dem Namen Gott belegt wird. Naturwissenschaftliche Unklarheiten müssen naturwissenschaftlich geklärt werden, das erfordert die Logik wie auch die Wissenschaftsphilosophie.“65 Genau dieses Gebot des naturwissenschaftlichen Ethos wird durch ID verletzt (und deshalb werden die Vertreter dieses Konzepts – als Naturwissenschaftler – zu Recht von ihren Kollegen bekämpft und wird ID durch die amerikanischen Gerichte korrekterweise vom Biologieunterricht ferngehalten).

In der Beurteilung des Wertes wissenschaftlicher Theorien selbst sollte der Nichtwissenschaftler, insbesondere der Philosoph und Theologe, meiner Ansicht nach jedenfalls sehr vorsichtig und zurückhaltend sein. Das Pathos nicht nur der Wissenschaftlichkeit, sondern auch der christlichen Rechtgläubigkeit, mit der die Debatte oft geführt wird und von der sich nicht wenige gut Gewillte täuschen lassen, kann nur zur Konfusion führen. In diese Konfusion sollten sich weder gläubige Christen noch die Kirche hineinziehen lassen.

Referenzen

* Schönborn C. SDS, Fides, Ratio, Scientia. Zur Evolutionismusdebatte, in: Horn S. O. SDS, Wiedenhofer S., Schöpfung und Evolution. Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo, St. Ulrich Verlag, Augsburg (2007), S. 79-98

  1. 29. September 2004. Mark Ryland ist Vizepräsident des „Discovery Institute“ und u. a. auch Vorstandsmitglied des „International Theological Institute“. Andere bekannte Vertreter von „Intelligent Design“ sind P. E. Johnson (ein Rechtsprofessor) und W. A. Dembski (ein Mathematiker und Informationstheoretiker). M. Behe hingegen ist Naturwissenschaftler (Biochemiker).
  2. Online publiziert vom „Access Research Network“, http://www.arn.org/docs/behe/mb_mm92496.htm
  3. Vgl. z. B. Mayr E., Teleologisch und teleonomisch: eine neue Analyse, in: Mayr E., Eine neue Philosophie der Biologie, Piper Verlag, München-Zürich (1991), S. 51-86. Auch der Begriff der „Teleonomie“ reflektiert nichts anderes als die Anerkennung der Existenz von Zweckmäßigkeit in der Natur. Mayr braucht den Begriff „Teleonomie“ allerdings nicht so wie Jacques Monod (im Sinne von evolutionärer Adaption), sondern eher im aristotelischen Sinne als etwas, was zielgerichtete Vorgänge in Gang setzt (vgl. a. a. O., S. 63-65). Mayr verwendet dazu den Begriff des (genetischen) Programms, denn Programme sind Ursachen, die von Anfang an da sind, gleichzeitig aber ein Ziel formulieren, das erst am Ende des Prozesses erreicht wird, und zwar gerade wegen der Existenz des Programms. Die Existenz von solchen Programmen wird von Mayr selbstverständlich evolutionär erklärt, aber gerade das ändert nichts an der philosophischen Möglichkeit einer dahinter liegenden schöpferischen Intelligenz, sondern verschiebt diese Frage nur und verschärft sie.
  4. Der „fünfte Weg“ von den fünf Wegen, mit denen gemäß Thomas von Aquin gezeigt werden kann, dass Gott existiert; vgl. Summa Theologiae, I, q. 2, a. 3.
  5. Allerdings ist dies ein bereits genuin philosophischer, nicht naturwissenschaftlicher Gedankengang. Nicht nur die neodarwinistische Evolutionstheorie, sondern die moderne Naturwissenschaft insgesamt bestreitet selbstverständlich, dass für die immanente Erklärung von Naturprozessen eine planende oder ordnende Intelligenz nötig ist. Aus der Sicht der heutigen Naturwissenschaft kann die Existenz einer solchen Intelligenz weder behauptet noch bestritten werden. Das allerdings bedeutet nicht, dass auch Naturwissenschaftler, die über das, was sie als Wissenschaftler wissen, reflektieren, zu entsprechenden Schlüssen hinsichtlich der Existenz oder Nichtexistenz Gottes kommen dürfen. Aber dann betreiben sie nicht mehr Naturwissenschaft, sondern Philosophie, insbesondere Metaphysik. Schlimm wird es, wenn sie das selber nicht bemerken oder nicht zugeben wollen und ihre Behauptungen mit der Autorität der Naturwissenschaft vorbringen.
  6. Zitiert nach Kardinal Christoph Schönborn, Worum es eigentlich geht (1. Katechese in der Reihe „Schöpfung und Evolution“), in: Die Tagespost Nr. 120 (8. Oktober 2005), S. 10.
  7. Dass er selbst so denkt, kann folgendes (aber nicht das im Haupttext genannte) Zitat belegen: „ Modern science directly implies that there are no inherent moral or ethical laws, no absolute guiding principles for human society … We must conclude that when we die, we die, and that is the end of us…“ (MBL Science (1988); 3: 25-29; zit. nach Miller K. R., Finding Darwin’s God, Harper Perennial, New York (1999), S. 171).
  8. So auch Richard Dawkins: “Biology is the study of complicated things that give the appearance of having been designed for a purpose” (The Blind Watchmaker. Why the Evidence of Evolution Reveals a Universe Without Design, W. W. Norton, New York-London (1996), 2. Auflage, S. 4). Man kann also auch hier nicht den Vorwurf erheben, man übersehe die Evidenz von design. Die Frage ist, wie man mit dieser Evidenz umgeht und welche Schlüsse man daraus zieht.
  9. De Veritate, q. 22, a. 4. Der von Johannes Damaszenus übernommene Gedanke enthält im Lateinischen ein unübersetzbares Wortspiel: „sie handeln nicht, sondern werden vielmehr gehandelt“, d. h. „geführt“ oder „angetrieben“.
  10. Vgl. auch R. Spaemann/R. Löw, Die Frage Wozu?, Piper Verlag, München (1981), S. 261 f
  11. Es ist nicht zu vergessen, dass gemäß aristotelischer Naturphilosophie die „Form“ (morphê) der Lebewesen gerade die „Seele“ (psychê, anima) ist (im Falle des Menschen handelt es sich um eine Geistseele). Adrian Walker fordert (in seinem Artikel Schöpfung und Evolution. Jenseits des Konkordismus, in: Internationale Katholische Zeitschrift „Communio“ 35 [Januar-Februar 2006], S. 55-70), dass die Biologie wieder von der „Form“ sprechen und diese in ihre wissenschaftliche Betrachtungsweise einbeziehen sollte, ansonsten sie rein „materialistische“ Wissenschaft sei und damit auch im Gegensatz zur christlichen Schöpfungslehre stehe. Ist sich Walker bewusst, dass er damit verlangt, die Biologen sollten sich mit der Seele von Lebewesen beschäftigen? Ein solcher Gedanke ist befremdlich. Zudem ist Walkers genereller Materialismusvorwurf an die moderne Naturwissenschaft nicht überzeugend. Er beruht auf einer Vermengung verschiedener Bedeutungen des Terminus „Materie“: Einmal spricht Walker von „Materie“ als Gegenbegriff zu „Form“ (d. h. im Sinne der hylemorphistischen Verwendung des Materiebegriffs) ; andere Male jedoch ist mit „Materie“ der Gegenbegriff zu „Geist“ gemeint. Gerade die klassische aristotelische (und scholastische) Naturphilosophie beschränkt jedoch ihre Betrachtungsweise gerade auf die „Materie“ in diesem zweiten Sinne, nämlich die corpora (Körper). Sie spricht nie vom „Geist“ (das tut sie nur in der „Psychologie“ im Falle des Menschen – wo der nous erscheint – aber der Mensch ist eben genau der Punkt, wo „Leben“ auch die bloße Natur überschreitet). „Materialismus“ findet sich erst dort, wo aus der methodologischen Beschränkung auf „Materie“ (körperliche Wirklichkeit) die Leugnung der Existenz geistiger Wirklichkeit folgt bzw. diese Leugnung explizit vollzogen wird. Das ist aber bei einer reinen „Körperwissenschaft“, als die sich auch die aristotelische Naturphilosophie versteht, keineswegs der Fall (auch wenn sie dann wie im achten Buch der aristotelischen „Physik“ zum „unbewegten Beweger“ aufsteigt, der auch für Aristoteles geistiger Natur ist: doch der unbewegte Beweger ist – so wurde er zumindest dann in christlicher Zeit verstanden – der Natur transzendent; da findet sich bei Newton dann wieder ein Rückfall, weil hier Gott zum Bestandteil des Natursystems wird, ohne dessen beständige Mithilfe dieses System gar nicht funktionieren könnte). Freilich betrachten auch die Biologen „Formen“ (denn alle Wirklichkeit ist im hylemorphistischen Sinne „formierte Materie“, durch Formen aktualisierte und strukturierte Materie), aber sie sind als solche kein Thema, sowenig wie für Physiker „Natur“ ein Thema ist, obwohl sie natürlich gerade diese untersuchen. Thema der Naturwissenschaft ist ja die Struktur der Materie, und diese Strukturen sind gerade Ausdruck der die Materie strukturierenden Formen; aber gerade deshalb sind sie nicht die „Form“ selbst. Dafür dass es sie als reales Wirklichkeitsprinzip gibt und dass sie notwendig ist, Wirklichkeit also nicht auf bloße Struktur und Mechanismus reduziert werden kann, gibt es gute Gründe; aber das ist gerade Gegenstand der metaphysisch-naturphilosophischen Betrachtungsweise.
  12. Iª q. 2 a. 3 co. Übersetzung nach der Deutschen Thomas Ausgabe, 1. Band, Salzburg (1933). Der Originaltext lautet: „Quinta via sumitur ex gubernatione rerum. Videmus enim quod aliqua quae cognitione carent, scilicet corpora naturalia, operantur propter finem, quod apparet ex hoc quod semper aut frequentius eodem modo operantur, ut consequantur id quod est optimum; unde patet quod non a casu, sed ex intentione perveniunt ad finem. Ea autem quae non habent cognitionem, non tendunt in finem nisi directa ab aliquo cognoscente et intelligente, sicut sagitta a sagittante. Ergo est aliquid intelligens, a quo omnes res naturales ordinantur ad finem, et hoc dicimus Deum.”
  13. Vgl. Barr S. M., The Design of Evolution, First Things (2005); 156(October): 9-12
  14. Zu erwähnen wäre hier auch die quantenmechanische Undeterminiertheit der Materie auf der mikrophysikalischen Ebene. Sie verunmöglicht natürlich heute einen rein mechanistisch-deterministischen „Deismus“ und lässt Gott sozusagen Spielräume des Eingriffs in das Naturgeschehen offen, die in keiner Weise mit der Struktur der modernen Naturwissenschaften in Konflikt geraten würden. Es scheint der Fall zu sein, dass die quantenmechanische Undeterminiertheit und Unvorhersehbarkeit sich auch in einer entsprechenden Zufälligkeit (randomness) von Genmutationen niederschlägt. Zu beachten ist, dass die Nichtdeterminiertheit und Unvorhersehbarkeit mikrophysikalischer Ereignisse – wie die Bewegung von Elementarteilchen – nicht heißt, dass nicht jede von diesen Bewegungen eine eindeutige Ursache besitzt; dasselbe gilt von „Zufallsereignissen“. Wir können diese Ursache naturwissenschaftlich aber nicht kennen und Gesetze bezüglich solcher Bewegungen nur statistisch formulieren, das heißt auf einer höheren Ebene.
  15. So vor allem Behe M. J., Darwin’s Black Box, Free Press, New York (1996). William A. Dembski hingegen spricht von „specified complexitiy“; vgl. Dembski W. A., Intelligent Design. The Bridge Between Science and Theologiy, InterVarsity Press, Downers Grove (1999).
  16. Zur Präzisierung und Ergänzung: Im Unterschied zu Thomas von Aquin wissen wir heute, dass „Natur“ nicht nur die zum jetzigen Zeitpunkt beobachtbare Natur ist, sondern dass diese Natur eine Geschichte hat, die ebenfalls „Natur“ ist. Sie ist eine Naturgeschichte, die nach Naturgesetzen verlaufen ist. Dass zur Natur auch eine ihr eigene Geschichte gehört, welche die Evolutionstheorie zu rekonstruieren sucht, bedeutet erstens, dass jede wissenschaftliche Theorie der Evolution nicht nur der experimentellen Logik der Naturwissenschaft, sondern in einem gewissen Sinne auch derjenigen der Geschichtswissenschaft folgt (z. B. Rekonstruktion von prinzipiell nicht beobachtbaren, da in der Vergangenheit liegenden Ereignissen auf Grund von „Indizien“); zweitens bedeutet es – und darin liegt der eigentliche darwinistische Paradigmenwechsel –, dass sich Fragen nach der Entstehung von gegenwärtig beobachtbaren Ordnungsstrukturen (wie etwa die verschiedenen, jetzt existierenden Arten) heute nicht mehr als die Frage nach dem „Woher“ aus einem (göttlichen) Schöpfungsakt stellen, sondern ebenfalls als die Frage nach dem „Wie“ eines Naturprozesses gestellt werden können und gemäß naturwissenschaftlicher Logik auch so gestellt werden müssen. Da für uns also die „Natur“ selbst auch eine historische Dimension besitzt und diese selbst wiederum „Natur“ ist, darf man die Frage nach der Entstehung der Arten, aber eventuell auch jene nach der Entstehung des Lebens, nicht verwechseln mit der Frage nach der Entstehung der Natur überhaupt (die selber nun zur Frage nach dem Ursprung eines sich auf Grund von Naturgesetzen entwickelnden Universums wird). Diese Fragen sind heute keine philosophischen Fragen mehr; sie sind zu legitimen naturwissenschaftlichen Fragen geworden (ich sage: „Fragen“, denn wie weit hier auch naturwissenschaftliche Antworten möglich sein werden, können wir nicht wissen). Jedenfalls hebt hier die Konfusion an: So genannte „Kreationisten“ und, wenn auch weniger deutlich, die Vertreter von ID wollen diese Fragen weiterhin als eine Frage nach dem Schöpfer behandeln. Sie leugnen damit implizit die Ausweitung des Bereichs der naturwissenschaftlichen Erkenntnis auf Fragen, die die Entstehung der gegenwärtig beobachtbaren Naturordnung betreffen, und setzen dort, wo solches naturwissenschaftliches Fragen sich legitimerweise vollzieht, bereits mit „Gottesbeweisen“ an. Dies zu ihrem eigenen Verhängnis und zum Vergnügen ihrer atheistischen und materialistischen Kritiker, denen es ein Leichtes ist, diese am falschen Ort ansetzenden Gottesbeweise mit naturwissenschaftlichen Argumenten zu demontieren. Denn trotz der Behauptung der Vertreter von ID, sie könnten allein mit naturwissenschaftlichen Methoden die Spuren eines intelligenten Schöpfers in der Natur erkennen (und so etwa behaupten, Strukturen, wie so genannte „biochemische Maschinen“ oder das Auge, seien „irreduzibel komplex“ und könnten sich deshalb nicht evolutionär entwickelt haben), vermögen die Gegner von ID immer wieder mit naturwissenschaftlichen Argumenten nachzuweisen, dass diese Behauptung falsch ist – und selber gar nicht auf einem naturwissenschaftlichen, empirisch überprüfbaren Beweisverfahren beruht.
  17. Die Übersetzung des extrem vieldeutigen Wortes „ratio“ mit „Vernunft“ will bewusst verschiedene Möglichkeiten offen halten: die „ratio“ einer Kunst ist die „Regel“, nach der sie verläuft, ihr „Plan“, ihre „Struktur“, ihre „Berechnungsgrundlagen“, die „inneren Verhältnisse“, die sie bestimmen, aber auch das „Verfahren“, nach der sie zustande kommt oder gar die „Vernunft“ oder der „Geist“, der ihrer Produktionsweise zu Grunde liegt, usw. Die „ratio artis“ ist jedenfalls nicht das „Tun“ des Kunsthandelns, sondern die Vernunftprinzipien, gemäß denen dieses Kunsthandeln oder künstlerische Schaffen vollzogen wird. Diese Prinzipien, Regeln, Pläne usw. sind es also, die – wie Thomas von Aquin sagt – der Natur von Gott eingestiftet sind und bewirken, dass die Natur selbst gemäß dieser eingestifteten „ars divina“ etwas hervorbringt.
  18. In Physic., lib. 2 l. 14 n. 8: „... natura nihil est aliud quam ratio cuiusdam artis, scilicet divinae, indita rebus, qua ipsae res moventur ad finem determinatum: sicut si artifex factor navis posset lignis tribuere, quod ex se ipsis moverentur ad navis formam inducendam.“
  19. “... nullo enim alio natura ab arte videtur differre, nisi quia natura est principium intrinsecum, et ars est principium extrinsecum. Si enim ars factiva navis esset intrinseca ligno, facta fuisset navis a natura, sicut modo fit ab arte.”
  20. Jaki S. L., The Road of Science and the Ways to God, University Of Chicago Press, Chicago (1978)
  21. Vgl. Nicolaus Copernicus, De revolutionibus Orbium Caelestium, Vorrede und Einleitung zum Ersten Buch, in: Zekl H. G. (Hrsg.), Nicolaus Copernicus. Das Neue Weltbild, Drei Texte, Philosophische Bibliothek Band 300, Lateinisch-Deutsch, Meiner Verlag, Hamburg (1990), S. 66-85
  22. Der Biologe, überzeugte Neodarwinist und gläubige Katholik Kenneth R. Miller ist der Meinung, dass diesen Kritikern die bereits bekannten Mechanismen der Evolution zumeist unbekannt sind oder dass sie entsprechende wissenschaftliche Ergebnisse ignorieren; s. Miller K. R., Finding Darwin’s God. A Scientist’s Search For Common Ground Between God and Evolution, Harper Perennial, New York (1999).
  23. Der Zufall mag also auf der Ebene der Genmutationen liegen, nicht aber auf jener der Selektion: Letztere folgt einer zwingenden Logik und schafft deshalb Ordnung. Sie läuft immer auf eine Optimierung hinaus, auf einen Vorteil für das entsprechende Lebewesen (so etwa bei der Mutation von Bakterien und Viren). Das entspräche wiederum der Formulierung der Quinta via, in der als typisch für Naturprozesse bezeichnet wird, „dass sie immer oder doch in der Regel in der gleichen Weise tätig sind und stets das Beste erreichen“ (consequantur id quod est optimum).
  24. Gerade Darwin selbst scheint sich dessen bewusst gewesen zu sein; bereits der alternative Untertitel von „The Origin of Species“ (Text der 1. Aufl. von 1859, Penguin Classics, London 1968 etc.) enthält eine teleologische Formulierung: „The preservation of favoured races in the struggle for life“. In Kapitel VI finden sich Sätze wie (Hervorhebung nicht im Original): „Natural selection will never produce in a being anything injurious to itself, for natural selection acts solely by and for the good of each“; oder: „Natural selection tends only to make each organic being as perfect as, or slightly more perfect than, the other inhabitants of the same country with which it has to struggle for existence“ (S. 231); “an organ as perfect as the eye”, hervorgehend aus “a long series of gradations in complexity” (ebd., S. 231). F. J. Ayala (Teleological explanation in evolutionary biology, Phil Sci (1970); 37: 1-5) hat deshalb die Ansicht vertreten: Wenn auch die Evolution insgesamt nicht als ein teleologischer Prozess betrachtet werden könne, so könne man ihn doch in einem andere Sinne als teleologisch bezeichnen, „in dem Sinne nämlich, dass er auf die Erzeugung solcher DNA-Informationscodes ausgerichtet ist, die die fortpflanzungsmäßige Fitness einer Population in der Umwelt, in der sie lebt, erhöhen.“ Zudem habe der Evolutionsprozess „teleologisch ausgerichtete Strukturen, Verhaltensmuster und geordnete Mechanismen hervorgebracht.“ Gegen diese Sichtweise erhob Ernst Mayr Einspruch: Die natürliche Selektion könne jeweils nur nachträglich als Erfolg bewertet werden; sie ist ein Vorgang, „der den gegenwärtigen Erfolg belohnt, aber niemals zukünftige Ziele setzt.“ Mit Darwin könne man deshalb auch nie sagen, sie bringe etwas „Höheres“ hervor. „Die natürliche Auslese belohnt vergangene Ereignisse, das heißt die Produktion erfolgreicher Genkombinationen, aber sie plant nicht für die Zukunft“ (Ernst Mayr, a. a. O., S. 57 f.; das Zitat von Ayala ebenfalls hier). Der Widerstand Mayrs gegen die eigentlich triviale Beobachtung Ayalas scheint übertrieben: Ich denke kaum, dass Ayala in Abrede stellt, was Mayr hier sagt, und genau deshalb meint er auch, die Evolution insgesamt sei nicht teleologisch. Aus der Sicht der Funktionsweise (des „Mechanismus“) der natürlichen Selektion ist natürlich die Rede von „höher“ und „niedriger“ kaum angebracht, und noch weniger der Gedanke, dass die natürliche Selektion jeweils einem vorgegebenen Ziel folgt oder gar „für die Zukunft plant“. Ayala, so scheint mir, meint jedoch hier etwas anderes: Er meint, dass der Mechanismus der natürlichen Selektion gemäß einer spezifischen Logik und Struktur arbeitet. Auch wenn damit nicht determiniert und noch weniger geplant ist, was herauskommt, kommt alles, was herauskommt, genau dieser Logik gemäß heraus. Und zweitens: Was dabei herauskommt, besitzt selbst eine intrinsische „Logik“, d. h. „teleologisch ausgerichtete Strukturen, Verhaltensmuster und geordnete Mechanismen“. Würde man „höher“ mit „komplexer“ identifizieren, so ließe sich kaum leugnen, dass während der letzten siebenhundert Millionen Jahre das Leben auf dieser Erde sich von niedrigeren (Bakterien, Algen) zu höheren Stufen (Fische, Reptilien, bis hin zu den Säugetieren) entwickelt hat! Komplexitätszunahme ist doch gerade ein Merkmal von Evolution und sie ist, neodarwinistisch gesprochen, immer das Ergebnis von natürlicher Auslese!
  25. Dass natürliche Selektion Ordnung und „Fortschritt“ schafft und kein blinder Prozess ist, deshalb auch keinesfalls alles auf Zufall reduziert werden kann, wird interessanterweise von Richard Dawkins in seinem neuen Buch „The God Delusion“ (London 2006) emphatisch hervorgehoben. Sein Argument allerdings, dass ein Gott, der als intelligente schöpferische Ursache hinter statistisch extrem unwahrscheinlichen Ereignissen steht, ebenso unwahrscheinlich sein muss, wie diese Ereignisse, ist philosophisch-theologisch gesehen äußerst primitiv, da es Gott wie eine Naturursache behandelt und gerade übersieht, dass der Begriff Gottes derjenige einer transzendenten Ursache ist, die selbst außerhalb der natürlichen Ursachenverkettung steht und diese als Ganze verursacht.
  26. Christoph Kardinal Schönborn, Finding Design in Nature, New York Times vom 7. Juli 2005.
  27. Auch wenn Darwin selbst diese Sprechweise („niedriger“, „höher“) abgelehnt hat, so ist, wie oben gesagt, nicht zu leugnen, dass es im Sinne der Komplexitätszunahme eine solche Evolution zu „Höherem“ gibt. Damit wird noch nicht unterstellt, dass die Evolution nach einem Plan verläuft und der Mechanismus der natürlichen Selektion zielgerichtet ist. Aus philosophisch-anthropologischer Sicht jedoch, ist jede Entwicklungsstufe, die in Richtung „Mensch“ zielt als „höher“ zu bezeichnen. Die philosophisch-anthropologische, nicht die biologische Sicht ist die entscheidende; ihr ist das „naturwissenschaftliche Weltbild“ unter- oder einzuordnen. Nicht unsere Sicht des Menschen als ein Wesen der Natur, gleichzeitig aber auch über ihr stehendes und sie reflektierendes geistiges und freies Wesen wird durch die Naturwissenschaft relativiert, sondern die Naturwissenschaften, insbesondere die Biologie werden durch die philosophische Anthropologie relativiert und auf ihren Platz verwiesen, dies jedoch unter gleichzeitiger Bestätigung ihrer methodologischen Autonomie. (Vgl. auch unten Ref. 60.)
  28. Heute vertritt etwa Daniel Dennett die Ansicht, die evolutionstheoretische Logik sei auf alle Bereiche anwendbar; vgl. sein bekanntes Buch: Darwin’s Dangerous Idea, Simon & Schuster, New York (1995). Bekannter noch ist der mit geradezu missionarischem Eifer vertretene Atheismus des Oxford-Biologen Richard Dawkins, zuletzt in seinem neuesten Buch „The God Delusion“., a. a. O.
  29. www.actionbioscience.org/evolution/lenski.html
  30. www.actionbioscience.org/evolution/nhmag.html. Millers oben genanntes hervorragend argumentierendes Buch „Finding Darwin’s God“ klammert allerdings die philosophische Ebene von eigentlicher Naturphilosophie und Metaphysik aus. Die diesbezügliche Uninformiertheit des Autors führt dazu, dass es in seiner Argumentation nur zwei Ebenen gibt: „science“ und „religion“. Das führt, abgesehen von einigen theologischen Mängeln, zu gelegentlichen Unklarheiten.
  31. Das hat freilich nichts mit „Deismus“ zu tun, wie man diese Haltung zuweilen kritisiert. „Natur“, als ein Ordnungsgefüge, das sich mit seinen Gesetzen selbst genügt und ohne weiteres Eingreifen Gottes „funktioniert“, ist gerade der klassische Naturbegriff der christlichen Theologen, insbesondere derjenigen der thomistischen Tradition. Augustinus hatte zudem bereits die Idee einer Schöpfung durch „Evolution“ vorgelegt, in der Gott in alles Geschaffene die rationes seminales hineinlegt, die es dann ermöglichen, dass die Natur aus sich selbst hervorbringt, was in ihr potentiell schon immer angelegt war. Deismus ist nicht die Lehre, dass die Natur, um zu „funktionieren“, keiner göttlichen Eingriffe bedarf, sondern dass Gott überhaupt nicht in die Geschichte dieser Welt und der Menschen eingreift, die Schöpfung also ganz ihrem eigenen Schicksal bzw. den Naturkräften und dem menschlichen Willen überlassen hat. Die undifferenzierte und philosophisch, aber auch terminologisch konfuse Art und Weise wie etwa William Dembski den so genannten „Naturalismus“ brandmarkt („For the naturalist God plays no role in the World“, und zwar nur, weil der Naturalist meine, man könne Naturprozesse ohne Rekurs auf Gott erklären), ist wenig hilfreich, ja spielt dem Atheismus geradezu in die Hände, weil sie alle Differenzierungen vermischt, insbesondere jene zwischen dem „Wie“ des Funktionierens der Natur und dem „Woher“ der Natur als gesamter; vgl. Dembski W. A., Intelligent Design, a, a. O., S. 99. Ebenso wenig hilfreich sind verschwommene „anti-naturalistische“ Formulierungen wie etwa: „The divine is always present at some level and indispensable“ (S. 212).
  32. Teleologie in die Naturwissenschaft einzuführen wäre unfruchtbar, denn teleologische Hypothesen hätten keine empirisch überprüfbaren Konsequenzen. Telelogische Betrachtungen der Wirklichkeit setzen das, was Naturwissenschaft leisten kann, bereits voraus und führen es erst seinem umfassenden – metaphysischen – Verständnis zu. Vgl. auch Spaemann R., Löw R., Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens, Piper Verlag, München (1981), vor allem S. 289 ff.
  33. Vgl. auch Mayr, a. a. O. S. 51: „In der Biologie bedient man sich häufig einer teleologischen Sprache, um Feststellungen über die Funktion von Organen, über physiologische Vorgänge und Verhaltensweisen und Tätigkeiten von Arten und Individuen zu treffen. Diese Sprache ist durch die Worte Funktion, Zweck, und Ziel gekennzeichnet, ferner durch die Aussage, etwas existiere oder werde getan ‚um zu’. Typisch teleologische Aussagen sind etwa: ‚Eine der Aufgaben der Nieren ist es, die Endprodukte des Proteinstoffwechsels auszuscheiden’ oder: ‚Vögel ziehen in warme Gegenden, um den niedrigen Temperaturen und dem Futtermangel im Winter auszuweichen’.“
  34. Ich lasse diese Formulierung so stehen, obwohl natürlich kein Evolutionstheoretiker eine „Aufwärtsentwicklung“ bis hin zum Menschen erklären will – zumindest ist das ja nicht die innere rein biologische Logik der Evolutionstheorie. Doch scheint es mir dennoch eine Tatsache zu sein, dass diese Theorie genau das tut: Sie erklärt, wie oben gesagt, das Faktum der „Entstehung höherer und differenzierterer Formen des Lebens aus niederen Formen“ und das Faktum einer beobachtbaren „Zielrichtung auf ein ‚Optimum’ bis hin zum Menschen“. Aus der umfassenderen und höheren Perspektive der Philosophie – die auch unser Selbstverständnis als geistige und mit Freiheit begabte Wesen zu reflektieren vermag – bedeutet die Entwicklung zum Menschen hin die Ermöglichung einer absoluten Höchstform von „Leben“: von geistigem Leben innerhalb der Natur, genauer gesagt: von geistdurchformten Lebewesen (animal rationale).
  35. Die neodarwinistische Evolutionstheorie sagt also: Das Faktum eines (in den Augen eines „naiven“ Beobachters) teleologischen Prozesses wird durch einen nicht-teleologischen Mechanismus erklärbar – genau wie die gesamte, vor den Augen des „naiven“ Bobachters teleologisch strukturierte Naturordnung ebenfalls nicht-teleologisch und mechanistisch erklärt werden kann.
  36. Koltermann R. SJ, Grundzüge der modernen Naturphilosophie, Knecht Verlag, Frankfurt/Main (1994), S. 192; und es ist, falls man einen adäquaten Begriff des Menschen als leib-geistiges Wesen voraussetzt, auch gar keine biologische Frage. Ich komme darauf später zurück (vgl. Ref. 60).
  37. vgl. Ref. 16
  38. Genauer: Die katholische Kirche hält daran fest, dass Geist sich nicht aus Materie entwickeln kann; nur der menschliche Organismus kann evolutionär aus anderen Formen der Materie entstehen.
  39. „Teilhabe an der göttlichen Natur“ freilich im Sinne des Ebenbildes (imago) Gottes, das sich in der menschlichen Seele findet, und nicht im Sinne der (übernatürlichen) Teilhabe an der göttlichen Natur durch die Gnade.
  40. Schon Aristoteles hatte ja bekanntlich, in Anlehnung an die platonische Tradition, den nous als etwas Göttliches im Menschen, ja als „Gott in uns“ bezeichnet.
  41. Natürlich ist diese Rede von zwei „Naturen“ gerade bei Thomas von Aquin keinesfalls dualistisch zu verstehen. Die Geistseele ist für ihn ja gerade die Form des Leibes. Beide „Naturen“ vereinen sich im Menschen hylemorphistisch zu einer Wesenseinheit, zu einer einzigen Natur in der substanziellen Einheit der menschlichen Person. Dies ist auch Ausdruck der christlichen Anthropologie, welche dann auch den Leib an der Gottebenbildlichkeit der menschlichen Seele teilhaben lässt, bis hin zum Auferstehungsglauben, der die letzte Bestätigung der wesenhaften leib-geistigen Einheit der menschlichen Person ist. Gerade diese leib-geistige Einheit ist natürlich aus christlicher Sicht gegenüber falschen Deutungen der Evolutionstheorie zu verteidigen.
  42. „… homines illuminantur a Deo, secundum hoc scilicet quod veniunt in mundum, idest secundum intellectum qui est ab extrinseco. Homo enim ex duplici natura constituitur, corporali scilicet et intellectuali: et secundum corporalem quidem naturam, seu sensibilem, illuminatur homo lumine corporeo et sensibili; secundum animam vero et intellectualem naturam, illuminatur lumine intellectuali et spirituali. Cum ergo homo, secundum naturam corporalem non veniat in hunc mundum, sed sit ex mundo, sed secundum intellectualem naturam, quae est ab extrinseco, ut dictum est, sit a Deo per creationem, unde dicitur Eccle. XII, 7: ‘donec omnis caro in suam revertatur originem, et spiritus dirigatur ad Deum qui fecit illum’ ... etc. (Super Io., cap. 1 lectio 5). Natürlich ist auch für Thomas der ganze Mensch von Gott erschaffen, aber dies insofern er, als Naturwesen, Teil der in ihrer Gesamtheit von Gott geschaffenen Natur ist. Aber einmal die Erschaffung und Existenz der Natur (oder „Welt“) vorausgesetzt, die die Formierung des menschlichen Körpers bewirkt, bedarf es zur Entstehung eines jeden menschlichen Individuums eines neuen schöpferischen Eingriffs Gottes, da die Natur selbst nicht imstande ist, auch die geistige Natur des Menschen – die menschliche Seele ist ja geistiger Natur – hervorzubringen.
  43. Super Sent., lib. 2 d. 18 q. 2 a. 3 co.: “ ... praedicti philosophi omnes formas substantiales esse a principio separato posuerunt; tam animam sensibilem, quam formam lapidis vel ignis. Alii vero, ut Aristoteles et Commentator eius, qui ponunt formas alias materiales ex potentia materiae educi virtute agentium naturalium, ponunt etiam animam sensibilem et vegetabilem ex traduce esse […] (sämtliche Hervorhebungen stammen von mir).
  44. De potentia, q. 5 a. 3 co. […] In illis etiam rebus in quibus est possibilitas ad non esse, materia permanet; formae vero sicut ex potentia materiae educuntur in actum in rerum generatione, ita in corruptione de actu reducuntur in hoc quod sint in potentia.”
  45. Freilich finden sich bei Thomas Stellen, in denen er die gesamte nicht-geistbegabte Natur als „Instrument“ und Gott als agens principale bezeichnet (z. B. Summa Theologiae, I-II, q. 1, a. 2: „tota irrationalis natura comparatur ad Deum sicut instrumentum ad agens principale“). Der Kontext ist hier freilich ein anderer: Es geht um die Frage der Beziehung der Natur zur göttlichen Vorsehung und darum, hier die Sonderstellung des Menschen hervorzuheben, der kein bloßes Instrument der göttlichen Vorsehung ist, sondern frei und auf Grund von Intelligenz handelt. Zudem kann man bezüglich des Seins (esse) die gesamte Schöpfung als Instrument in der Hand Gottes sehen, da kein geschaffenes Wesen, auch nicht der Mensch, fähig ist, Ursache seines Seins zu sein. Das „Sein“ der Dinge kann nur direkt von Gott stammen; das ist genau die Ebene des Schöpfungsaktes.
  46. Behe spricht von „irreduzibler Komplexität“, zu deren Entstehung es der Antizipation des Gesamtsystems durch einen Intellekt bedarf.
  47. Ich sehe deshalb kein Problem darin, dass sich die Naturwissenschaften für methodisch „materialistisch“ erklären. Auch wenn bereits beispielsweise die kreisförmige Anordnung von einer bestimmten Zahl von Steinen mehr ist als die Summe der Steine, sondern hier eine immaterielle mathematische Struktur vorhanden ist, so sind hier dennoch nur Steine vorhanden, und die Entstehung der Anordnung kann rein mechanistisch erklärt werden. Es handelt sich also um nichts als um Steine und dennoch nicht um eine bloße Ansammlung von solchen. Das Strukturprinzip, gemäß dem sie kreisförmig angeordnet sind, ist real, Teil der Wirklichkeit, es ist zwar „immateriell“, aber nicht geistig (immateriell ist es eigentlich nur in unserer Erkenntnis, da wir die mathematische Struktur aus der Wirklichkeit abstrahieren können). Prima facie sehe ich keinen Grund, warum dasselbe prinzipiell nicht auch für lebende Organismen gelten könnte. Ihr Formprinzip, die „Seele“, stammt ja, aristotelisch gesprochen, aus der Potentialität der Materie. Deshalb sagt auch Ernst Mayr (im Unterschied zu dem, was ihm Adrian Walker a. a. O., S. 63 vorwirft), dass Aristoteles zu Recht von einem eidos lebender Organismen spricht und dass dieses eidos dem modernen genetischen Programm nahe komme: „Mit außergewöhnlicher Klarheit sah Aristoteles, dass es ebenso wenig Sinn hat, lebende Organismen als bloße Materie zu beschreiben, wie ein Haus eine Ansammlung von Ziegelsteinen und Mörtel zu nennen. Geradeso wie der Plan, den der Baumeister benutzt, die Form eines Hauses bestimmt, so gibt das eidos (in seiner aristotelischen Definition) dem sich entwickelnden Organismus seine Form, und dieses eidos enthält bereits das endgültige telos des vollausgewachsenen Individuums. In vielen Werken von Aristoteles gibt es Ausführungen, in denen dieselben Gedanken zum Ausdruck kommen“ (Mayr, a. a. O., S. 76 f). Will man hingegen die „Form“ eines Organismus als etwas hinsichtlich seines genetischen Programms Verschiedenes bzw. Hinzukommendes mit eigenem biologischem Erklärungswert behaupten, dann landet man in den Problemen des Vitalismus (etwa Drieschs „Entelechien“). Natürlich gibt es eine solche selbständige und hinzukommende „Form“ im Falle des Menschen, aber das ist naturwissenschaftlich belanglos. Biologisch genügt es, auch den menschlichen Organismus gleich dem eines anderen Lebewesens zu betrachten und hier gilt, „dass die Tierseele nicht mehr ist als die materielle Struktur des Tierkörpers (…), so dass sie mit dem Tier selbst entsteht und mit seinem Tod aufhört zu existieren“ (Schick C., Materie und Leben, in: Imfeld N. (Hrsg.), Von Vernunft und Gott in Wissenschaft und Kunst, Echter Verlag, Freiburg/Schweiz (1990), S. 71-78; hier: S. 75; dieser leider etwas abgelegen publizierte Artikel, verfasst von einem zugleich klassisch-philosophisch und naturwissenschaftlich gebildeten Ingenieur, halte ich – insbesondere was die Argumentation gegen das vitalistische Missverständnis der klassischen aristotelisch-thomistischen Position betrifft – für etwas vom Treffendsten, was ich zu diesem Thema gelesen habe.)
  48. S. dazu Miller K., Finding Darwin’s God, a. a. O., S. 143 ff.
  49. Aus aristotelischer (und scholastischer, zumindest thomistischer) Perspektive sehe ich keinen Grund, weshalb es nicht auch eine Evolution der Formen geben könnte, die eben genau der Evolution der Arten folgt. Die Formen sind ja wie gesagt nicht „von außen“ (außerhalb der Natur) her kommende Formprinzipien der Materie (das ist nur beim Menschen der Fall), sondern sie stammen aus der Potentialität der Materie, d. h. sie werden durch Naturursachen daraus „eduziert“ und erscheinen genau dann, wenn der Stand der Organisation der Materie dies erlaubt (und sie verschwinden auch wieder, wenn die Organisation der Materie es nicht mehr erlaubt; bei Lebewesen nennt man das „Tod“). Wie mit den obigen Zitaten aus dem Sentenzenkommentar und De potentia belegt, werden sowohl die Seele von Pflanzen wie auch von Tieren in aristotelischer Sicht durch Fortpflanzung weitergegeben – genau gleich wie das mit den Genen und dem genetischen Programm geschieht, von dem der Biologe Mayr spricht. Freilich ist „Seele“ nicht dasselbe wie ein „genetisches Programm“, aber die Entstehung der Seele muss selbstverständlich in irgendeiner Weise der Potentialität der Materie entsprechen. Falls sich diese Potentialität entwickelt, oder besser: Falls sie sich durch Evolution immer fortschreitend in neuen Weisen aktualisiert, dann muss diesem Prozess auch die „Form“, also die Seele, folgen.
  50. Adrian Walker (a. a. O., S. 64) scheint, wenn ich ihn richtig verstanden habe, der Meinung zu sein, dass die moderne Biologie nur noch nominalistisch von „Art“ oder „Spezies“ zu sprechen vermag: Eine bestimmte Spezies wäre dann einfach nur noch ein bestimmtes Stadium in einem Evolutionsfluss, könnte aber nicht mehr etwas Bestimmtes sein, ontologisch abgegrenzt von anderen Arten. Dazu, so Walker, müsste man eben wieder die „Form“ in die Biologie einführen und damit den Materialismus der modernen Naturwissenschaft überwinden. Nun stimmt es aber nicht, dass die moderne, „materialistische“ Biologie keinen Speziesbegriff hat, der über bloße nominalistische Namengebung hinausliefe und keine ontologische Referenz kennen würde. Im Gegenteil. Für Biologen sind „Arten“ durch reproduktive Isolation bestimmt: Individuen verschiedener Spezies können sich zusammen nicht fortpflanzen (zumindest sind die Nachkommen nicht überlebensfähig oder bleiben steril, was logischerweise das Aussterben ihrer Linie bewirkt). Eine Spezies bildet eine „Fortpflanzungsgemeinschaft“ mit stabilem und in sich integriertem, klar abgegrenztem Genotyp, und trotz des Kontinuums ihrer evolutionären Entwicklung gibt es zwischen verschiedenen Spezies Diskontinuität. Das hat genetische Gründe, und genau diese sind es auch, die – immer auf der Ebene ganzer Populationen betrachtet – den Mechanismus der Evolution von einer Spezies zu einer anderen erklären! Das heißt: Die moderne „materialistische“ Biologie braucht zwar den Begriff der „Form“ nicht, aber sie bekommt genau die Wirklichkeit in den Griff, die durch die „Form“ ihre ontologische Identität erhält, und sie erklärt die Struktur und Wirkweise dieser Wirklichkeit – bis hin zu ihrer Evolution (s. dazu auch Mayr E., Zu Ontologie des Taxons Spezies, a. a. O. S. 226-254; hier wird auch deutlich, dass sich Mayr nur gegen einen platonischen eidos-Begriff wendet: Spezies als ewige, unveränderliche, abgetrennte Idee oder, wie Mayr sagt, „Essenz“; nicht jedoch gegen den aristotelischen Begriff des eidos als „Form“ des konkreten Lebewesens, die er biologisch als „genetisches Programm“ identifiziert, was bestimmt nicht abwegig ist.). Dass es für die artspezifische „ontologische Identität“ von Naturwesen einer „Form“ bedarf und eine rein mechanistische Erklärung nicht genügt, das weiß die Metaphysik und die Naturphilosophie, und sie hat dafür gute Argumente; die Biologie braucht es für das Betreiben ihres Geschäfts nicht zu wissen. Der Philosoph scheint mir jedoch wiederum nicht befugt, zu bestimmen, wo die Grenzlinien zwischen verschiedenen Spezies verlaufen. Dazu fehlen ihm die Mittel, und die Kategorie der „Form“ ist dazu nicht geeignet. Er muss sich dafür von Biologen belehren lassen.
  51. Ich teile das Anliegen von Adrian Walker und Kardinal Schönborn, dass ein bloßer „Konkordismus“ nicht genügt, dem gemäß Naturwissenschaft und Philosophie/Theologie einfach nebeneinander her laufen, ohne sich zu berühren und deshalb auch ohne sich je widersprechen zu können. Es muss Überschneidungszonen geben. Diese gibt es gerade im Aristotelismus: Seit jeher hat eine aristotelisch inspirierte Philosophie auf das Wissen über die Welt zurückgegriffen, wie es von den Naturwissenschaften der jeweiligen Zeit geliefert wurde. Aristoteles war ja selber auch Biologe und – dem Verständnis seiner Zeit gemäß – auch Physiker. Zu denken ist hier auch an die biologische Kompetenz Alberts des Großen, des Lehrers von Thomas von Aquin. Allerdings ist es ein methodisches Erfordernis, dass jeweils die „höhere“ Wissenschaft auf den Ergebnissen der „tieferen“ aufbaut, und niemals umgekehrt. So geht, prinzipiell und streng methodologisch gesehen, die Philosophie nicht von Prämissen oder Erkenntnissen aus, die ihr die Theologie liefert, die Theologie stützt sich hingegen auf die Philosophie. Ebenso gehen Biologie und Physik nicht von Erkenntnissen oder Prämissen aus, die ihr die Philosophie oder gar die Theologie liefern, sondern umgekehrt: Philosophie und Theologie müssen in ihrem Reden über „Natur“ und „Leben“ zur Kenntnis nehmen, was ihr Physik und Biologie sagen, freilich ohne deshalb in den Fehler zu verfallen, sich ihre eigene Erkenntnismethode von derjenigen der Physik und Biologie vorschreiben zu lassen. Nun ist jedoch gerade bei Adrian Walker eine deutliche Tendenz erkennbar, methodologische Überschneidungen in beide Richtungen zu fordern, insbesondere von der Biologie zu verlangen, den Formbegriff zu verwenden (d. h. über die Seele zu sprechen). Alles andere brandmarkt Walker als „methodologischen Materialismus“, der zum weltanschaulichen Materialismus führt, weil er „die problematische Trennung von Gott und Natur nicht überwindet, sondern ausdrückt und wiederholt“, und mit dem christlichen Schöpfungsglauben unvereinbar ist (a. a. O., S. 58). Die Einführung der Kategorien „Form“ und „Seele“ in die Biologie wäre jedoch ein Rückfall in den Vitalismus. Bei Adrian Walker tritt diese Forderung zugleich noch mit dem starken Geschütz der Verteidigung der christlichen Rechtgläubigkeit auf.
  52. Rein evolutionstheoretisch kann man natürlich nicht von „Forschritt“ oder „Aufwärtsentwicklung sprechen“; philosophisch und theologisch jedoch schon, das heißt aus unserem eigenen Selbstverständnis als gottebenbildliche, geistige und freie Wesen in der Natur.
  53. Vgl. Miller K. R., Intelligent Design? A special report reprinted from Natural History magazine, http://www.actionbioscience.org/evolution/nhmag.html, sowie ausführlicher: Miller, Finding Darwin’s God, a. a. O. Kapitel 5. Behe geht von der Grundannahme aus, dass etwaige evolutionäre Vorgänger „irreduzibler“ komplexer Strukturen – also bloße Teile davon – funktionslos seien und ihnen deshalb kein Selektionsvorteil zufallen könne; folglich könnten irreduzibel komplexe Systeme auch nicht Produkt von Evolution sein. Doch die Grundannahme ist falsch und meines Wissens empirisch falsifiziert. Teile einer komplexen Struktur können durchaus eine Funktion haben, allerdings eine andere. Funktionen sind kontextgebunden, und der Witz der Evolution ist gerade die Adaptation an neue Kontexte, wodurch auch neue Funktionen entstehen, die, wenn sie erfolgreich sind, d. h. einen Selektionsvorteil verschaffen, überleben. So hat sich z. B. der komplexe Hörmechanismus der Säugetiere offenbar aus Knochen entwickelt, die zuvor eine ganz andere Funktion hatten, die nichts mit „Hören“ zu tun hatte. Die Evolution läuft ungeplant und – in sich betrachtet – richtungslos ab. Auch dem evolutionstheoretischen Laien wird sofort klar, dass Behe gegen grundlegende Prinzipien der neodarwinistischen evolutionstheoretischen Logik verstößt und nur, weil er diese Logik nicht berücksichtigt, seiner Argumentation eine gewisse vordergründige Plausibilität zu verschaffen vermag.
  54. Das Kernproblem scheint mir zu sein, dass bestimmte metaphysische, aber auch theologische und religiöse Positionen und Kategorien sich in jeder Zeit mit der in ihr herrschenden (wissenschaftlichen, sozialen, politischen, Paradigmen) verbinden, die in sich nichts mit dem Wesen dieser Positionen und Kategorien zu tun haben, aber im Bewusstsein der Zeitgenossen sich mit ihnen zu einer untrennbaren Einheit verbinden. Der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt, aber auch politisch-soziale Neuorientierungen, führen zu entsprechenden Paradigmenwechseln – denken wir etwa an den kopernikanischen Heliozentrismus oder, auf der politischen Ebene, die moderne Forderung nach Religionsfreiheit –, die dann als Angriff auf entsprechende metaphysische, theologische, religiöse Positionen und ihre Wahrheitsansprüche interpretiert werden. Die neodarwinistische Evolutionstheorie ist sicherlich ein solcher Angriff auf ein traditionelles Paradigma: Wir interpretierten Jahrhunderte lang den christlichen Gott und seine Beziehung zu der von ihm geschaffenen Natur (und natürlich auch den biblischen Schöpfungsbericht) innerhalb eines uns von der damaligen Wissenschaft gebotenen Weltbildes, das durch den Neodarwinismus zerstört worden ist. Doch – so wenigstens meine Überzeugung –, gerade die klassische Metaphysik stellt uns die Mittel zur Verfügung, um den hier nötigen Paradigmenwechsel mit zu vollziehen. Dass die Debatte vor allem in den USA tobt, zeigt zumindest, dass Christen dort ihren Glauben ernst nehmen und ihn zu verteidigen suchen, was man von Europa nicht unbedingt oder zumindest nur in viel schwächerem Maße sagen kann.
  55. „Est in omnibus per potentiam, inquantum omnia eius potestati subduntur. Est per praesentiam in omnibus, inquantum omnia nuda sunt et aperta oculis eius. Est in omnibus per essentiam, inquantum adest omnibus ut causa essendi” (Thomas v. Aquin, Summa Theologiae, I, q. 8, a. 3; Übersetzung gemäß der Deutschen Thomas Ausgabe).
  56. Auch wenn, wie bereits erwähnt, evolutionstheoretisch gesprochen, eine solche Aussage sinnlos ist, so macht sie Sinn auf Grund unseres Selbstverständnisses als gottebenbildliches, geistiges, freies Naturwesen. Sie macht aber auch wissenschaftlich Sinn, wenn wir an das Prinzip der so genannten „Anthropie“ denken, die Tatsache also, dass, wie es der Physiker Freeman Dyson ausdrückt, das Universum den Anschein macht, „gewusst“ zu haben, dass wir einmal kommen würden, und deshalb genau mit jenen physikalischen Konstanten gebaut ist, die es ermöglichen, dass in ihm menschliches Leben existiert (kleinste Abweichungen würden dieses Leben unmöglich machen). Daniel Dennett hat darauf bekanntlich mit seiner Hypothese der Existenz von multiplen, voneinander unabhängigen Universen geantwortet – eine Hypothese, der man jedoch jeden naturwissenschaftlichen Wert absprechen muss, da sie per definitionem niemals falsifiziert werden kann und – in der Version Dennetts – auf einem rein atheistischen „Glaubensakt“ beruht. Freilich ist die Existenz multipler Universen wie bereits gesagt nicht eo ipso mit der Existenz eines göttlichen Schöpfers unvereinbar, zumal es ja, wie Leibniz meinte, im Geist Gottes eine Unzahl zumindest möglicher Universen geben kann, von denen das uns bekannte dann verwirklicht wurde. Denkbar ist aber, wie erwähnt, auch eine Unmenge realisierter Universen, die jedoch – was den Menschen betrifft – evolutionär belanglos geblieben sind.
  57. Zur Rekapitulierung des Grundgedankens: Nicht die innere Struktur des Verlaufs der Evolution selbst ist teleologisch, sondern das Ergebnis der Evolution ist eine Welt voller Teleologie. Sie ist eine Welt der Ordnung, der Naturgesetze, in der es den Menschen gibt als vernünftiges und freies Wesen. Die Evolution (auch die Makroevolution des Kosmos, so weit sie denn festgestellt werden kann) hat genau die Bedingungen geschaffen, die nötig waren, damit der Mensch – bzw. der menschliche Organismus, die biologische Spezies homo sapiens – entstehen konnte. Dieser Prozess verlief jedoch ohne „Plan“, ohne Intelligenz, ohne Notwendigkeit auf die Entstehung einer teleologisch strukturierten Naturordnung und auf den Menschen, der diese erkennen und sie sich zu Nutze machen kann, hinaus. Das genau ist nun der Ausgangspunkt für die philosophische Frage nach Gott.
  58. Auch erwähnt in Kardinal Schönborns dritter Wiener Katechese.
  59. Die Art und Weise wie etwa Richard Dawkins in „The God Delusion“ die klassischen Gottesbeweise abhandelt und zu „widerlegen“ sucht, zeugt nicht gerade von argumentativer Stärke, da er diese Beweise in einer entstellten und primitiven Form präsentiert, welche die Kritik daran zu einem Kinderspiel werden lässt (vgl. z. B. seine Formulierung von Thomas’ Quinta via auf S. 79: Dawkins Formulierung zeigt natürlich gerade, dass er den Kern des Arguments gar nicht verstanden hat). Vor allem wird dabei aber der eigentlich metaphysische Charakter dieser „Gottesbeweise“ verdeckt. Dawkins argumentiert immer als Naturwissenschaftler; er behandelt die Gottesbeweise, wie die versuchte Lösung eines naturwissenschaftlichen Problems; der dabei gesuchte und angeblich gefundene Gott wird dabei zu einer letzten und alles erklärenden Naturursache degradiert (darin paradoxerweise wieder gleich den Vertretern von ID, deshalb sind Dawkins Argumente gegen ID auch schlüssig). Zudem begeht Dawkins den gängigen Fehler zu meinen, „Schöpfung“ und „Anfang in der Zeit“ fielen zusammen; die schöpferische Ursache müsse also irgendwie am Anfang stehen (so interpretiert er denn die anderen Gottesbeweise, indem er etwa behauptet, sie wollten Gott mit dem „Big Bang“ identifizieren u. ä.). Dass „Schöpfung“ auch „Anfang in der Zeit“ heißt ist aber philosophisch keineswegs zwingend. Bereits Thomas von Aquin verteidigte die philosophische Möglichkeit einer ewigen Schöpfung, das heißt eines geschaffenen Universums, das seit Ewigkeit besteht und absolut anfangslos ist, dennoch aber metaphysisch von Gott abhängt, von ihm also aus dem Nichts erschaffen ist und durch ihn im Sein erhalten wird. Die Frage nach Gott ist nicht diejenige nach dem Anfang, sondern nach dem Ursprung, und zwar nach dem Ursprung von „Sein“ und damit auch von „Natur“. Nur durch die biblische Offenbarung wissen gläubige Juden und Christen, dass die Schöpfung auch einen Anfang in der Zeit hatte und nicht seit Ewigkeit besteht. Da vor allem amerikanische Kritiker der Evolutionstheorie zumeist biblizistisch argumentieren – also die philosophische Ebene überspringen und keinen adäquaten philosophischen Gottesbegriff besitzen – begehen sie den gleichen Fehler wie atheistische Vertreter des Neodarwinismus. Sie bekommen die eigentlich metaphysische Frage nach Gott gar nicht in den Blick, sondern suchen nach Ursachen, die eine naturwissenschaftlich befriedigende Letztbegründung von Naturprozessen bieten.
  60. Wir dürfen uns die zentrale und privilegierte Stellung des Menschen in der Natur als geistbegabtes Wesen und als „Krone der Schöpfung“ nicht durch die Verabsolutierung eines so genannten „naturwissenschaftlichen Weltbildes“ und seiner methodologisch zwar legitimen, metaphysisch jedoch reduktionistischen Kategorien ausreden lassen. Die Naturwissenschaft kann und darf uns kein „Weltbild“ vermitteln; sie kann allein Naturwissenschaft liefern, und diese ist höchstens ein Baustein eines Weltbildes. Für ein adäquates Weltbild müssen auch die metaphysisch-philosophische und die theologische Ebene mit einbezogen werden. Philosophisch und theologisch ist dabei von einer Anthropozentrik auszugehen: Wir müssen ausgehen von unserem Selbstverständnis als geistige und freie Wesen – auch wenn Naturwissenschaft weder Geist noch Freiheit in den Blick zu bekommen vermag – und dann fragen, wie es möglich sei, dass ein Prozess, wie ihn die neodarwinistische Evolutionstheorie beschreibt, so etwas wie den Menschen, bzw. die Lebensbedingungen für dessen Entstehen, hervorgebracht haben kann. Das eine solche Anthropozentrik begründende Selbstverständnis des Menschen als „Krone der Schöpfung“ ist ein unhintergehbares Faktum, das ebenso ernst genommen werden muss, wie die Fakten der paläontologischen Befunde, der modernen Genetik und Biochemie. Gerade die Existenz der Evolutionstheorie selbst bestätigt dieses Faktum: Der Mensch ist ein Naturwesen, das sich reflektierend auf sein „Natur-Sein“ und seinen Ursprung gerade von bloßer Natur zu distanzieren und über sie zu erheben vermag und damit beweist, dass er „Geist“ und „Freiheit“ ist. Wäre er das nicht, so gäbe es auch keine neodarwinistische Evolutionstheorie, ja überhaupt keine Wissenschaft. Es wäre also im höchsten Maße töricht, mit den Mitteln dieser Theorie die Anthropozentrik der Natur und des gesamten Kosmos verneinen zu wollen.
  61. Das tut kurioserweise ID: Wie diejenigen, die aus der modernen, methodologisch materialistischen Naturwissenschaft atheistische Folgerungen ziehen, behaupten die Vertreter von ID (und nicht nur sie), dass die neodarwinistische Evolutionstheorie und insgesamt die „materialistische“ Naturwissenschaft zum Atheismus führe!
  62. Falls Gott einzelne Ereignisse auf quantemechanischer Ebene verursachen würde – was wir nie wissen könnten und gemäß heutiger physikalischer Theorie auch nie wissen werden –, dann wäre das streng genommen nicht einmal ein Wunder, denn es würde kein einziges Naturgesetz übersteigen oder außer Kraft setzen, sondern vollzöge sich auf einer Ebene, auf der es solche Gesetze gar (noch) nicht gibt. Punktuelle schöpferische Eingriffe etwa bei der Entstehung des Lebens oder des menschlichen Körpers hingegen hätten eher den Charakter eines Wunders, aber auch nicht ganz. Sie wären ja nur dann wirklich ein Wunder, wenn sie ein bestehendes Naturgesetz durchbrechen oder umgehen würden. Falls aber, damit beispielsweise aus anorganischer Materie Leben entstehen kann, ein schöpferischer Eingriff notwendig ist, dann bedeutete dies, dass es auch kein entsprechendes Naturgesetz gab, d. h. die Natur selbst eben unfähig war, aus anorganischer Materie Leben hervorzubringen. Genau dann handelt es sich aber auch um kein Wunder, sondern um eine „schöpferische Weiterentwicklung“ der Natur und damit auch um die Erschaffung neuer Naturgesetze. Der Naturwissenschaftler muss sich aber über solches ausschweigen, es gehört einfach nicht zu seinem Thema. Für ihn ist es legitim zu versuchen, die Entstehung des Lebens, wie auch diejenige der Arten, auf rein naturwissenschaftliche Weise zu erklären. Ob es ihm gelingt oder nicht, ist theologisch ohne Belang.
  63. Auch hier vermischt W. A. Dembski die Konturen, wenn er schreibt: „… nature itself is a divine creative act“ (Intelligent Design, a. a. O., S. 212). Adrian Walker (a. a. O., S. 70, Ref. 32) lehnt ID genau aus diesem Grund ab. Er sagt richtig, dass ID „die Unterscheidung zwischen der Erstursache und den Zweitursachen aufhebt“; deshalb verbleibe er „ironischerweise in der gleichen materialistischen Sackgasse wie der Darwinismus“. Letzteres würde ich präzisieren: Nur ID landet in dieser Sackgasse, denn ein „intelligent designer“, der als Naturursache konzipiert und nicht mehr transzendent ist, wird schließlich zum „Deus sive natura“, zu Natur selbst und damit auch auf „Materie“ reduziert. ID riskiert sogar auch noch im Atheismus zu landen, in dem Maße nämlich wie sein „intelligent designer“ sich durch wissenschaftlichen Forschritt als überflüssig erweist. Der Neodarwinist hingegen braucht nicht notwendigerweise „materialistisch“ zu sein – im Sinne von geistverneinend –, nur in methodischer Hinsicht ist er das (und das ist für Walker ja bereits ein Makel, für mich hingegen ein wesentliches Erfordernis moderner Naturwissenschaft).
  64. Vgl. dazu auch die Überlegungen von Lobkowicz N., Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube. Was man von den Naturwissenschaften (nicht) erwarten sollte, Internationale Katholische Zeitschrift „Communio“ (2006); 35: 46-54.
  65. Koltermann R., a. a. O., S. 182

Anschrift des Autors:

Prof. Dr. Martin Rhonheimer
Fakultät für Philosophie, Päpstliche Universität Santa Croce
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