EuGH: Kein Patent auf humane embryonale Stammzellen

Imago Hominis (2011); 18(4): 262-264
Berta Moritz, Susanne Kummer

Die Reaktionen reichten von Applaus bis zu Entsetzen: Stammzellen, die aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden, dürfen nicht für die wissenschaftliche Forschung patentiert werden. So entschied der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am 18.10.2011 (Rechtssache: C-34/10).1 Wenn Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen zerstört und als Rohstoff für die Forschung verwendet werden, verstoße dies gegen den Schutz der Menschenwürde, urteilten die Richter in Luxemburg. Die Entscheidung gilt für Patente auf embryonale Stammzellen (ES) sowie für die Verfahren zu ihrer Herstellung.

Eine nüchterne Bilanz, wie es zu diesem Urteil kam, zeigt, dass es wohl nicht so ganz überraschend kam, wie einige es glauben machen wollten. Klar ist aber auch, dass der Entscheid der Höchstrichter längerfristige Folgen auf den Umgang mit bzw. die „Nutzung“ von Embryonen innerhalb der EU haben wird. Zumindest treten jetzt tiefgreifende Diskrepanzen und Wertungswidersprüche der europäischen Politik ins Rampenlicht,2 die dringenden Handlungsbedarf deutlich machen: zum Schutz des Embryos ebenso wie gegen die Vergeudung von Steuergeldern in einen ohnehin wohl völlig überschätzten Forschungszweig. Prominente US-Bio-ethiker diverser Lager hatten erst vor wenigen Monaten den „unredlichen Hype“3 um die embryonale Stammzellenforschung kritisiert und  sprachen von bewusst überzogenen Versprechungen, die das „Vertrauen in Wissenschaft untergraben“.

Zurück zum aktuellen Urteil: Die Nutzung von ES-Zellen ist äußerst umstritten, weil sie aus Embryonen stammen, die bei der Gewinnung zerstört werden. Nach Ansicht des EuGH verstößt dies gegen die guten Sitten, weil es sich auch bei befruchteten Eizellen rechtlich um Embryonen handle. „Der Begriff des menschlichen Embryos ist weit auszulegen“, heißt es in der Begründung. Jede menschliche Eizelle sei vom Stadium ihrer Befruchtung an als „menschlicher Embryo anzusehen, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen“. Das Gleiche gelte für unbefruchtete Eizellen, die durch Zellkern-Transplantation oder durch andere technische Eingriffe von außen zur Weiterentwicklung angeregt werden.

Hintergrund des Spruchs der Höchstrichter war ein Patentstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Bonner Neurobiologen Oliver Brüstle. Er hatte 1997 ein Patent auf die Herstellung von Zellen aus menschlichen Embryonen sowie ihre Verwendung zu therapeutischen Zwecken beantragt. Dieses Patent (DE 19756864 – „Neuronale Vorläuferzellen, Verfahren zur Herstellung und ihre Verwendung zur Therapie“) wurde zunächst 1999 von deutschen Behörden erteilt.

Patente als Schutzrechte, die die gewerbliche Nutzung von Erfindungen ermöglichen, stellen einen wichtigen Anreiz für Forschung und Innovation dar. Die EU-Kommission legte 1998 in der EU-Biopatentrichtlinie fest, dass „das Patentrecht unter Wahrung der Grundprinzipien ausgeübt werden muss, die die Würde und die Unversehrtheit des Menschen gewährleisten.“ Konkret wird darauf hingewiesen, dass „der menschliche Körper in allen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung, einschließlich der Keimzellen (…) nicht patentierbar ist“ (vgl. Erwägungsgrund 16) und „dass die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ (Artikel 6) nicht patentierbar ist.4

2004 wurde das von Brüstle beantragte Patent von Greenpeace beeinsprucht. Diesem Einspruch wurde stattgegeben, worauf Brüstle Revision einlegte. Der Deutsche Bundesgerichtshof legte daraufhin 2009 dem EuGH den Fall vor.

Das mediale Gedächtnis ist kurz: Brüstles Antrag war nämlich nicht der erste dieser Art, bei dem das Europäische Patentamt zu entscheiden hatte. Bereits 2005 hatte das Europäische Parlament bekräftigt, dass embryonale Stammzellen nicht patentierbar sind. Aus genau diesem Grund hatte das Europäische Patentamt dem Einspruch gegen das 1999 erteilte Edingburgh-Patent (EP 695351) stattgegeben. Nach einem fast siebenjährigen Verfahren wurde das umstrittene Patent, das auch die Herstellung menschlicher embryonaler Stammzellen aus geklonten Embryonen umfasste, endgültig abgelehnt. Patentinhaber war die Universität von Edinburgh, der Nutznießer des Patents jedoch die australische Firma Stem Cell Sciences (SCS), die einen Exklusiv-Vertrag mit der Universität geschlossen hatte.

Auch im Fall Brüstle hatte sich das EP im Vorfeld der Entscheidung des Höchstgerichts zu Wort gemeldet. Auf einer Pressekonferenz im Jänner 2011 betonten Abgeordnete aller Fraktionen des Europaparlaments, dass es „völlig inakzeptabel“ sei, „Technologien, die auf der Zerstörung von menschlichem Leben basieren, zu patentieren“ – ganz in Einklang mit der EU-Biopatentrichtlinie.

Interessant ist am jetzigen Richterspruch, dass der EuGH einer für die EU allgemein verbindlichen Definition des Embryos selbst in seiner frühesten Phase („früher Embryo“, „Präembryo“ genannt) als nicht kommerzialisierbarer Ware folgt. Damit setzt er ein Signal gegen die in weiten Teilen der EU verbreitete radikal utilitaristische Auffassung, wonach die Zerstörung von Embryonen im Dienste der Wissenschaft oder der Entwicklung von zukünftigen Therapien legitim sei. Diese Position könnte nun ins Wanken kommen, mit weitreichenden Folgen.

Zwar hat der EuGH für den konkreten Fall den Ball an die deutschen Gerichte zurückgespielt. Sie müssten nun prüfen, ob die von Brüstle aus menschlichen Embryonen im Keimblasen-Stadium gewonnenen Stammzellen tatsächlich dazu „geeignet sind, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen – und folglich unter den Begriff des menschlichen Embryos fallen“.

Insgesamt ist zu erwarten, dass die durch private oder EU-Gelder geförderte Embryonen vernichtende Forschung ohne Anspruch auf Patente auslaufen wird, da sie sich finanziell kaum lohnt. Im Vergleich zur dynamischen Entwicklung auf dem Gebiet der induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) und schon bestehender zahlreicher Therapien mit adulten Stammzellen hatten ES-Projekte ohnehin schon an Attraktivität verloren.

Jüngstes, prominentes Beispiel ist das US-amerikanische Biotech-Unternehmen Geron.5 Unter großem medialem Rummel hatte Geron im Oktober 2010 die weltweit ersten klinischen Studien mit embryonalen Stammzellen begonnen. Zuvor hatte Geron gut zwei Jahre lang um eine Zulassung für die Versuche am Menschen gekämpft: Vier querschnittgelähmten Patienten waren an die verletzte Stelle des Rückenmarks jeweils zwei Millionen Stammzellen implantiert worden. Im Oktober 2011 meldete dann die Firma, die Studie habe keinerlei bedenkliche Nebenwirkungen bei den Patienten hervorgerufen (eine Sorge, die immerhin noch 2009 dazu geführt hatte, dass die FDA – US Food and Drug Administration – die Erlaubnis für eine klinische Studie zurückgezogen hatte). Auch wenn in der ersten klinischen Studie die Sicherheit gefragt ist, so erhofft man sich doch auch erste Anzeichen für die Wirksamkeit. Und diese blieb aus: Von einer Besserung der Symptome war keine Spur zu sehen. Am 14. November 2011 kündigt die Firma an, die Studie und das gesamte Forschungsprogramm wegen zu hoher Kosten zu beenden, ein Drittel seiner Mitarbeiter zu entlassen, einen Partner zu suchen, der Programm und Finanzierung übernimmt – und sich in Zukunft auf hoffnungsträchtigere Felder als ES-Therapien zu konzentrieren. Nicht hehre Ethik, sondern pure Monetik war der Grund: Der Aktienkurs von Geron war im vergangenen Jahr von 6,34 US-Dollar auf 1,60 US-Dollar abgesackt.

Für den gesundheitspolitischen Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Peter Liese, zeigt dieses Beispiel, dass „die Heilsversprechen, die mit embryonalen Stammzellen verbunden wurden, unbegründet waren. Wenn selbst die ‚Pioniere’ der embryonalen Stammzellforschung keine Finanzierung ihrer eigenen Versuche gewährleisten können, ist der Glaube an den Erfolg dieser Versuche erloschen“, so Liese.

Was folgt?

Für Österreich gilt weiterhin: Ethisch sauber forscht es sich am besten. Die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus Embryonen, die nach einer künstlichen Befruchtung „übrig bleiben“, ist hierzulande durch das Fortpflanzungsmedizingesetz verboten. Und das soll auch so bleiben.

Die Reaktionen aus dem Nachbarland Deutschland, wo ES-Zelllinien importiert werden dürfen, geben Österreich im Nachhinein Recht: So hält etwa der deutsche Pathologe und Stammzellforscher Ralf Huss von der Ludwig-Maximilian-Universität München die ganze Aufregung um das EuGH-Urteil für unverständlich. Für Deutschland würden sich keinerlei Nachteile ergeben.6 Man würde in der Branche ohnehin nichts auf Basis embryonaler Zellen entwickeln – „nicht aufgrund der strengen Gesetzgebung, sondern weil die embryonalen Stammzellen bisher weder im Labor noch in der Klinik den Therapieerfolg gezeigt haben, der erhofft wurde.“

Politisch gesehen ist es ein Gebot der Stunde, die Embryonenforschung endgültig aus EU-Förderprogrammen herauszunehmen, insbesondere die bereits bestehende Förderung für die Forschungstätigkeit, bei der menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden. Gelegenheit zu einer Revision hat die EU-Kommission bei der anstehenden Neuregelung der EU-Forschungsförderung von 2014 bis 2020 („Horizont 2020“). Neben ethischen und juristischen Argumenten hatten Europaabgeordnete mehrere Fraktionen nun im Vorfeld angeführt, dass es auch wirtschaftlich keinen Sinn habe, Projekte zu fördern, deren Ergebnisse dann in der EU nicht patentiert werden könnten. Die zuständige EU-Kommissarin Maire Geoghegan-Quinn kann diesen Argumenten offenbar nichts abgewinnen: Sie schwenkte zwar um, sodass es auch in Zukunft keine Förderung für Projekte geben wird, bei denen direkt Embryonen zerstört werden. Es soll aber dabei bleiben, dass EU-Gelder in die umstrittene Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen (hESZ) fließen - und damit auch von Ländern wie Österreich mitfinanziert werden, wo dies nach nationalen Regelungen verboten ist.

Es gibt ethisch saubere und wissenschaftlich attraktive Alternativen zur embryonalen Stammzellforschung. Die Zukunft für neue Therapien sieht die Scientific Community in den künstlich verjüngten humanen Alleskönnerzellen, den oben genannten „iPS“ und in den adulten Stammzellen als ethisch sauberem Weg. Beide können auch ohne Zerstörung von Embryonen gewonnen werden.

Referenzen

  1. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil in der Rechtssache C-34/10 Oliver Brüstle / Greenpeace e. V., Pressemitteilung Nr. 112/11, curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2011-10/cp110112de.pdf
  2. Spatzenegger M., Drug Development. Animal Ethics vs. Protection of Man?, in: Imago Hominis (2011); 18: 331-346
  3. “Stem Cells. The Scientists Knew They Were Lying?”, Public Discourse: Ethics, Law and the Common Good, 13. April 2011, www.thepublicdiscourse.com/2011/04/2490
  4. Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31998L0044:DE:HTML
  5. vgl. „Embryonale Stammzellen. Das eingestampfte Wunder“, FAZ, 15. November 2011
  6. „Embryo-Zellen braucht keiner“, Die Welt, online 25. Oktober 2011, www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article13679289/Embryo-Zellen-braucht-keiner.html

Anschrift der Autorinnen:

Dr. Berta Moritz
berta.moritz(at)gmail.com

Mag. Susanne Kummer, IMABE
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
skummer(at)imabe.org

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